Internationale Härte
Spanien. Ein feuriges Fußballfest in schwarz und gelb sollte es werden. Die nächste Runde in der Europaleague wollten wir erreichen. Bei milden Temperaturen wollten wir in Sevilla noch die letzten Nachboten des Sommers genießen und das in einer eigentlich wunderschönen Stadt. Doch die spanische Polizei hatte etwas dagegen.
Ca. 3.000 BVB-Fans begleiteten den BVB nach Sevilla, fast alle reisten sie über Umwege nach Sevilla an. Von den Abflugorten Eindhoven, Maastricht, Köln-Bonn, Düsseldorf, Weeze und Bremen ging es unter anderem nach Malaga, Jerez, Faro oder eben direkt nach Sevilla. Der Einfallsreichtum kannte ob der knappen Anzahl an Direktflügen keine Grenzen und so dauerte manche Anreise über 12 Stunden.
In Sevilla angekommen gabs dann zumindest tagsüber gnädige 13 Grad, in den Abendstunden bereuten diejenigen, die auf kurze Hose gesetzt haben, wohl ihre Entscheidung. Es war arschkalt und dies damit die erste von vielen unerfüllten Hoffnungen an diesem Abend.
Die zweite Hoffnung war die, dass man ein unbeschwertes Fußballfest würde feiern können. An dem vom BVB ausgerufenen Fantreffpunkt ging es friedlich zu, es fiel jedoch auf, dass die Polizei doch sehr rigoros gegen jeden vorging, der nicht ihren Anweisungen folgte oder die befohlenen Wege befolgte.
Das setzte sich auch fort, als es in einem geordneten Marsch gen Stadion ging. Eigentlich ein Glücksfall für die Polizei, hat man so doch sehr viele Fans auf einmal im Blick und kann für eine geordnete Ankunft am Stadion sorgen. Die Polizei sah das anders und provozierte immer wieder die vorderen Reihen durch Zurückdrängen der Fans mit erhobenen Schlagstöcken und anderen Drohgebärden. Im Verlaufe des Marsches kam es so zu einem ersten Zusammenstoß. Dieser animierte die Polizisten im hinteren Teil des Marsches, nun die Fans noch enger zusammenzupferchen. Wie Vieh wurden wir zum Stadion getrieben. Auf dem Stadionvorplatz angekommen, konnte man dutzende Polizei- und Pferdetransporter erkennen. Die Polizei trieb die schwarzgelbe Herde vor sich her. Am Stadion angekommen erwartete die vielen hundert Fans ein ca. 3 Meter breites Stadiontor. In der Folge kam es aufgrund der von hinten drängenden Fans (sie wurden von der Polizei voran getrieben) in den vorderen Reihen zu Drängeleien. Die Polizei fühlte sich anscheinend von der selbst provozierten Situation bedroht und ging direkt mit Knüppelhieben auf die Köpfe der Fans in den ersten Reihen vor. Die Situation eskalierte daraufhin mehrmals und die ersten Verletzten wurden in die hinteren Reihen durchgelassen.
Als die ersten Fans im Stadion waren, ging die Knüppelei im unteren Teil des Gästeblocks weiter. Die Situation entglitt der Polizei immer weiter und es kam zu weiteren Scharmützeln in deren Folge Sitzschalen und andere Gegenstände flogen. Viele unbeteiligte Fans wurden Opfer von Knüppelhieben der Polizei.
Vor dem Stadion blieb die Situation auch in jener Phase vollkommen undurchschaubar und kritisch. Die Polizei zog ihre Grenzen immer enger. Ab und zu pflügte dann der ein oder andere berittene Polizist mit seinem Pferd durch die Menge. Im hinteren Teil der Fanschar bestand die Menge ausschließlich aus vollkommen verängstigten oder verunsicherten Fans und den Verletzten der ersten Aktionen.
Dennoch ließ es sich die Polizei im hinteren Teil nicht nehmen, immer weiter zu provozieren, indem man einfach grundlos vorrückte, dann wieder abließ und ab und zu mal einen knüppelschwingenden Reiter in die Menge trieb. Nach ungefähr 20 Minuten merkte man, dass man dort keine weiteren Schlägereien provozieren konnte und so wurde für die draußen verbliebenen Fans ein weiteres Tor geöffnet. Wer nicht schnell genug dorthin ging, dem wurde unmissverständlich klar gemacht, was anstelle einer zweiten Ermahnung folgen würde.
Der Einlass an dem zweiten Eingang gestaltete sich dann erstaunlich unkompliziert und die Fans wurden in den oberen Teil des Gästeblocks geführt.
Wir würden an dieser Stelle unheimlich gerne auf das geniale und stimmungsvolle Stadion, die teilweise wirklich frenetischen und lauten Fans sowie das grandiose Vereinslied des FC Sevilla eingehen. Oder auch auf ein denkwürdiges Schau-Spiel der Spanier, denen es unter gütiger Mithilfe des russischen Schiedsrichters gelang, ab der 33. Minute auf Zeit zu spielen (Eine Nachspielzeit im zweistelligen Bereich wäre noch zu wenig gewesen). Allerdings überschattet die Prügel-Posse der Polizei die Ereignisse und überdeckt auch die positiven Dinge, die man in Sevilla, im Stadion oder auch auf der An- und Abreise erleben konnte.
Nachdem das Spiel mit dem unglücklichen 2-2 geendet hatte, wurde uns klar, dass es der Mannschaft leider nicht gelungen war, uns durch einen Sieg und ein Weiterkommen wenigstens einen Hauch von Wiedergutmachung zukommen zu lassen. So durfte man nach den Demütigungen durch die Polizei noch die der Heimfans über sich ergehen lassen, die es sich zum Beispiel auch nicht nehmen ließen, ihre Freundschafts-Schals vom Spiel gegen die Blauen zu präsentieren. Nach der obligatorischen Blocksperre wurde bereits nach ca. 20 Minuten der obere Block geräumt. Auch hier galt es, Befehle strikt hinzunehmen oder zu kassieren. Die spanische Reitschule durfte noch eine Piaffe nach der anderen ausführen und so kam der Strom der Fans, die das Stadion verließen, zwischendurch immer wieder ins Stocken.
So langsam schien sich die Lage zu entspannen, doch aus dem Inneren des Stadions ereilte die Fans außerhalb des Stadions ein Hilferuf aus dem Inneren. Eine kleine Anzahl an Fans wurde auch eine Stunde nach dem Abpfiff noch in Gewahrsam genommen und sollte vorerst auch nicht freigelassen werden. Die Verantwortlichen des BVB wurden kurzerhand des Blockes verwiesen und die gut 15 Festgenommenen wurden einer kleinen Einzelbehandlung unterzogen. Die Schreie der Malträtierten waren bis außerhalb des Blocks zu hören. Die menschenunwürdige Behandlung der BVB-Fans in Sevilla fand ihren Höhepunkt. Die festgesetzten Personen sollten ein Schnellverfahren erhalten. Das fand jedoch erst statt, als auch der letzte dieser Personen seinen Flieger in die Heimat verpasst hatte. Borussia zeigte in dieser Situation Größe und stand den Fans finanziell zur seite. So konnten die milden Geldstrafen bezahlt und ein Rückflug für den kommenden Tag organisiert werden.
Der Abend war gelaufen und lediglich diejenigen, die die Nacht durchmachen mussten, um am nächsten Morgen früh am Flughafen zu sein, zechten noch in spanischen Kneipen. Der nächste Tag stand im Zeichen der allgemeinen Zeichen der Abreise. Einige Fans sahen sich noch ein wenig die schöne und verwinkelte Altstadt an, während die ersten Heimkehrer berichteten, von ihrer ganz persönlichen Grenzerfahrung.
Nach diesen Geschehnissen am Mittwochabend fragt sich manch einer, ob es für das Wort Rechtsstaat überhaupt eine adäquate Übersetzung im spanischen gibt bzw. geben kann. Gelebt wird dieser zumindest mitten in der Europäischen Union nicht. Der Wertekanon der normalerweise als ein Bindeglied der 27 EU-Staaten darstellen soll, findet in Spanien eine völlig absurde Auslegung.
Allein die nackten Zahlen führen einem vor Augen, dass in Spanien der Begriff Deeskalation nicht zum Sprachgebrauch der hiesigen Polizei gehören kann. Bis heute liegen uns Nachrichten von gebrochenen Rippen (mehrere Personen), einem Nasenbeinbruch samt Gehirnerschütterung, einen Armbruch, Handbruch und mehreren Platzwunden vor. Auch einer der szenekundigen Beamten bekam nach Augenzeugenberichten den spanischen Holzknüppel zu spüren, als er sich um einen Verletzten kümmern wollte! Diese Fans wurden erst am Donnerstagabend entlassen, nachdem sie sich zu Straftaten bekannten, die sie gar nicht begangen hatten. Ein absurder Vorgang, doch das Beispiel eines Frankfurter Fans aus der Vergangenheit, der wirkte dann doch zu abschreckend. Die letzten Fans konnten also erst am Freitag das Land verlassen, in Gepäck ein Bußgeld und 12 Monate Bewährung in Spanien, für Taten, die sie überhaupt nicht begangen hatten.
Doch warum ist eigentlich so eskaliert? Wie so häufig lässt sich das im Nachhinein kaum noch feststellen. Bis kurz vor dem Spielbeginn war es eine sehr friedliche und freundliche Atmosphäre in der Stadt. Dann wandelte sich die Stimmung jedoch schlagartig vor dem Stadion. Sicherlich werden auch einige Fans wieder etwas aus der Reihe getanzt sein, dennoch bleibt zu konstatieren, das Fans unterschiedlichster Couleur übereinstimmend berichten, dass die spanische Polizei provokativ auftrat und dann auch völlig unangemessen reagierte. Viele Fans waren dermaßen geschockt von dem Vorgehen der spanischen Ordnungskräfte, dass sie zur Halbzeit schon die Flucht antraten und das Stadion vorzeitig verließen. Nicht wenige hatten dabei Tränen in den Augen, als sie das Stadion verließen.
Verspätet ankommende Fans, die auf die Auseinandersetzung stießen, berichteten, dass die Polizisten versuchten sie mit auf das Schlachtfeld zu drängen. Das führte dazu, dass völlig unbescholtene Bürger vor der Polizei durch die Straßen Sevillas flohen. Es wird auch übereinstimmend berichtet, dass die Polizisten mit ihren Schlagstöcken nicht, wie es in Deutschland gefordert ist, auf den Beinbereich schlugen, sondern ganz gezielt den Kopf- und Brustbereich traktierten. Auch auf Fans die nur schützend ihre Hände hochhielten, wurde der Knüppel geschwungen. Dass ein Sat.1-Kamerateam von der Polizei rüde abgedrängt wurde und Personen, die den Einsatz nur Fotos dokumentieren wollten, körperlich angegangen wurden, rundet das Bild dann nur noch ab. Offensichtlich waren sich die Einsatzkräfte ihrer überharten Handlungen voll bewusst, anders lässt sich kaum erklären, warum jedes fremde Beweismaterial verhindert wurde.
Abschließend bleibt zu sagen, dass für Fußballfans gewisse Rechte scheinbar außer Kraft gesetzt sind. Niemand beschwert sich über gezielte und angemessene Einsätze der Polizei, doch das was die spanischen Beamten abzogen, war eine sinnlose Gewaltorgie. Das die UEFA sich selber gerne mit Attributen wie Fairplay und Gewaltfreiheit schmückt, wirkt da noch absurder.
Für die Betroffenen bleibt nur, dass sie nach Möglichkeit dem Aufruf der Fanbetreuung folgen sollten und sich dort melden. Auch eine Dokumentation der erlittenen Verletzungen ist hilfreich für die Arbeit des BVB. Wir wünschen allen Verletzten eine gute Genesung und hoffen, dass es Konsequenzen irgendeiner Art für die spanische Polizei geben wird. Allein uns fehlt der Glaube!
Jakob/mrg, 19.12.2010