Spielbericht Profis

"Ich lass Dich nie mehr alleine"

23.09.2010, 10:11 Uhr von:  Arne
"Ich lass Dich nie mehr alleine"
Sprachlose Fans

Der Wahnsinn geht weiter! Nach furiosem 4:3 in Lviv und großartigem 3:1 im Derby ließ die Borussia auch dem Gast aus der Pfalz nicht den Hauch einer Chance und erteilte dem Aufsteiger stattdessen eine 5:0-Lehrstunde. Die überragende Spielweise der von Sieg zu Sieg eilenden Borussia wirft beim völlig euphorisierten Publikum so langsam Fragen auf: Wo soll das alles noch hinführen? Wann wird es wohl enden? Muss es überhaupt enden?

Gerade mal gut 70.000 Zuschauer hatten sich unter der Woche im Westfalenstadion eingefunden, um das Spiel gegen den Aufsteiger zu verfolgen, das noch in den 90er-Jahren das Prädikat „Spitzenspiel“ erhalten hätte. Großer Respekt gebührt dabei jedenfalls den Gästen aus der Pfalz. Mehr als 3.000 mitreisende Anhänger an einem Mittwochabend sind selbst für einen Wieder-Erstligisten mit Nachholbedarf alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Die roten Teufel hoben sich damit sowohl zahlenmäßig wie auch von der Sangeskraft wohltuend von den bis dato in Dortmund gastierenden Vereinen ab – wenngleich Leverkusen und Wolfsburg in diesem Punkt zugegebenermaßen keinen echten Gradmesser darstellen sollten.

Jürgen Klopp

Jürgen Klopp hatte für die Partie die Rotationsmaschine angeworfen und so fanden sich Mario Götze und Patrick Owomoyela auf der Bank wieder, während Kuba und Lukasz Piszczek ihre Positionen in der Startelf einnahmen. Direkt nach Spielbeginn sah es kurzzeitig so aus, als müsse der Trainer eine weitere Änderung vornehmen: Ein Fallrückzieher-Versuch am Mann durch Lauterns Lakic streifte Sven Benders Kopf glücklicherweise nur, sodass es bei vorübergehender Bewusstlosigkeit und einem Brummschädel blieb. Nicht auszudenken, was bei einem „Vollkontakt“ hätte passieren können. So aber wurde Bender in Hälfte Eins zwar mehrfach behandelt, konnte jedoch 90 Minuten durchspielen. Für Lakic gab es die verdiente gelbe Plastikkarte.

Auf der Süd und im weiten Rechteck des Westfalenstadions passte man sich zunächst dem Spielverlauf an - und der geriet zumindest in der Anfangsphase äußerst verhalten. So ganz hatten die elf Schwatzgelben auf dem Rasen ihr Derbyfieber offenbar noch nicht ablegen können. Sie überließen den rotweiß gekleideten Lauterern zunächst die Spielanteile und genehmigten ihnen gleichsam die erste Chance des Spiels. So suchte und fand der flache Seitenwechsel durch Ilicevic in der siebten Spielminute Mitspieler Oliver Kirch auf der rechten Seite, der seinerseits die Kugel schnell und hart in den Strafraum beförderte. Doch Glück für den BVB in dieser Szene: FCK-Torjäger Lakic kam zwar an den Ball, wurde aber von Subotic entscheidend gestört, sodass der Schussversuch für Roman Weidenfeller keine allzu große Herausforderung darstellte.

Das war es aber auch schon mit der Herrlichkeit der Gäste, denn ab jetzt sollten die Torraumszenen fast ausschließlich dem BVB gehören.

Die erste echte Chance in der 19. Minute: Lucas Barrios ließ an der rechten Strafraumkante Ex-Borusse Amedick aussteigen und hob den Ball gefühlvoll in den Strafraum, wo Derby-Shinji per Kopf eigentlich ziemlich viel richtig machte, aber trotzdem an Tobias Sippel im Lauterer Tor scheiterte.

Torjubel 1:0

Knapp zehn Minuten später parierte Sippel auch einen sehenswerten Schussversuch von Kevin Großkreutz, bevor das Spiel in der 31. Minute dann endgültig zu Borussias Gunsten kippte: Nuri Sahin kam im Mittelfeld an den Ball und spielte die Kugel mit einem grandiosen Flachpass aus dem Fußgelenk in den knapp 30 Meter entfernten Lauf von Lucas Barrios. Der lief und lief und lief und schoss letztendlich, sodass zunächst der mitlaufende Amedick und danach Schlussmann Sippel ohne Abwehrchance blieben. Von Sippels Füßen aus schlug das Leder im rechten oberen Eck des Tornetzes ein.

Für die bis dahin gar nicht mal so zwingend auftretenden Borussen war es das Startsignal, für die Gäste indes der Genickbruch. Nur sieben Minuten nach dem 1:0 war es wieder Nuri Sahin, der den Ball auf die linke Seite spielte, wo Kevin Großkreutz sich auf den Weg in Richtung Strafraum begab. Kurz parallel zum Tor gelaufen, den Ball auf den rechten Fuß gelegt und geschlenzt – schon stand es 2:0. Wieder war Tobias Sippel dran, konnte aber nicht verhindern, dass der Ball zunächst an den Innenpfosten prallte und dann endgültig im Tor versank.

Die Gegenwehr der Lauterer war damit gebrochen und niemand im Stadion schien zu befürchten, dass in der zweiten Halbzeit noch etwas anbrennen könnte. Die Schwatzgelben würden nun das Spiel verwalten und nach den Anstrengungen der letzten Partien die Gelegenheit nutzen, mal ein paar Gänge zurückzuschalten. Dachte man…

Kevin Großkreutz

Es sollte anders kommen. Zuerst war es Eisenschädel Bender, dessen Schussversuch etwa 20 Zentimeter zu hoch zielte. In der nächsten Szene machte Shinji Kagawa dann erneut alles richtig, bekam den Ball mustergültig von Großkreutz serviert, trickste Amedick aus, drehte sich und schoss flach ins kurze Eck. Doch Tobias Sippel bekam die Beine dazwischen und konnte parieren. Doch es ging weiter: Wiederum Kagawa, der geblockt wurde, dann Piszczek mit dem Schussversuch und einige Zeit später erneut Sven Bender, diesmal nach Kuba-Flanke und mit seinem Brummschädel. Alle Versuche verfehlten jedoch das Gehäuse oder endeten beim guten FCK-Keeper Sippel.

Zwanzig Minuten sollte es nach Wiederanpfiff dauern, bis wieder Grund zum Jubel angesagt war. Und natürlich war einmal mehr Nuri Sahin der Ausgangspunkt: Freistoßflanke von der linken Seite in den Strafraum, Tobias Sippel verpasste und Mats Hummel flog genau zur richtigen Zeit in den Ball hinein und beförderte ihn ins leere Tor. Ein wirklich sehenswerter Treffer.

BVB-Fans

Mit dem 3:0 erwachte die Stimmung auf Dortmunder Seite zunehmend, befeuert auch durch den zwischenzeitlichen Ausgleich der Freiburger gegen Felix Magaths Derbyversager. Immer lauter hallte Nenas Leuchtturm durchs Stadion: „Ich lass dich nie mehr alleine, das ist dir hoffentlich klar!“ – ein Gänsehautlied, dessen Text nach Europapokalreisen und Derby-Boykott kaum passender die Fan-Verein-Beziehung beschreiben könnte. Dazu wirklich laute Wechselgesänge über alle Tribünen und auch die Welle schwappte nun durchs Stadion, derweil die Lauterer im Gästeblock sich ihrerseits den langen Abend nicht vom Spielstand kaputt machen lassen wollten und trotzig gegen die Niederlage ansangen: „…und wir werden Deutscher Meister“ - Humor ist eben, wenn man trotzdem lacht. Nachdem sich das Spiel so munter entwickelt hatte, taten beide Fan-Seiten also ebenfalls das Ihre dazu zu einem schönen Fußballabend.

Sven Bender

Und der war ja noch gar nicht vorbei, aber erst einmal wurde gewechselt: Dortmunder Junge Götze für Dortmunder Junge Großkreutz und Derbytorschütze Lewandowski für Derbytorschütze Kagawa. Vor allem die Einwechslung des dritten Polen sollte sich auszahlen für Jürgen Klopp. Nur fünf Minuten nach der Hereinnahme spielte Kuba einen Pass in die Mitte, Barrios ließ die Kugel durch und setzte Lewandowski auf diese Weise mustergültig in Szene, sodass der freistehend nur noch einzuschieben brauchte. Machte er aber nicht, sondern lupfte stattdessen den Ball über Sippel hinweg. Das Ergebnis war dasselbe: Der vierte Torjubel an diesem Abend. Damit war aber immer noch nicht Schluss. Kurz vor Ende machte Lukasz Piszczek noch einmal Dampf, zog an über die rechte Seite und drosch das Leder flach und scharf vors Tor, wo diesmal wieder Barrios stand und den Endstand markierte. 5:0 – eine demontierende Lehrstunde für die Lauterer, die einem beinahe leidtun konnten. Und gleichzeitig eine Sternstunde der Borussia, die sich allmählich in einen Rausch gespielt hatte.

Kagawa

Um es mal mit Jürgen Klopp zu sagen: Es war überragend zu sehen, mit welcher Torgeilheit die Borussia nach den anstrengenden Spielen der letzten Wochen immer noch zu Werke ging und sich selbst beim längst entschiedenen Spielstand noch um jeden Ball bemühte. Symptomatisch dafür Nuri Sahin, der auch beim Stand 4:0 noch über ein nicht angekommenes Zuspiel auf Lucas Barrios schimpfen konnte. Überhaupt Nuri Sahin: Was der Junge am heutigen Tag auf den Rasen brachte, war grandios. Die ersten drei Tore vorbereitet, hinten im Zusammenspiel mit Iron-Sven Bender eine sichere Defensive aufgebaut und nach vorne mit einem gefährlich-gefälligen Zuspiel nach dem anderen. Ganz große Klasse und damit der verdiente Empfänger eines Sonderlobs vom Trainer.

Achja: Am kommenden Wochenende geht es nun nach St. Pauli, wo in Gerald Asamoah ein alter Bekannter auf die Borussia wartet. Der gebärdete sich noch vor ein paar Tagen im Hamburger Derby übrigens haargenauso wie all die Jahre zuvor im Ruhrgebiet und beantwortete so dann auch endlich die Frage, ob seinem Verhalten eher ein blauweißes Herz oder doch nur ein allgemeiner Charakterfehler zugrunde liegt. Wollen wir hoffen, dass auch der zweite Aufsteiger keine echte Prüfung darstellt und die Borussia einfach weitermacht, womit sie so furios begonnen hat.

Und das sagen die anderen

FCK-Fans

Nachdem wir gestern mal die Gelegenheit hatten, unsere Fanzine-Kollegen von „Der Betze brennt“ kennenzulernen, wollen wir Euch auch den dortigen Spielbericht ans Herz legen:

zum Spielbericht von „Der Betze brennt“

Einzelkritik

Roman Weidenfeller: Nicht wirklich geprüft, aber zu jeder Sekunde sicher. Note 2,5

Lukasz Piszczek: Gefälliges Spiel. Hatte als Owomoyela-Ersatz, wie die gesamte Hintermannschaft, mit der harmlosen FCK-Offensive keine Probleme. Am Ende reichte es sogar noch für eine Torvorlage. Note 2

Neven Subotic: Die FCK-Offensive war bei ihm in guten Händen. Note 2,5

Mats Hummels: Siehe Subotic und Piszczek. Markierte überdies das 3:0. Note 2

Marcel Schmelzer: Offensiv heute nicht ganz so druckvoll und ein bisschen unscheinbarer als zuletzt. Note 3

Sven Bender: Wer mit Brummschädel 90 Minuten durchhält, hat sich ein Extralob verdient. Note 2

Nuri Sahin: Bester Mann auf dem Platz: Drei Tore vorbereitet, hinten Bälle erkämpft, vorne die Offensive angetrieben. Besser geht es nicht. Note 1

Kuba: Kommt langsam wieder etwas in Tritt. Nach dem Derby auch heute wieder mit einer Vorlage. Note 2,5

Kagawa: Wuselig wie immer, diesmal aber etwas glückloser. Hätte durchaus wieder ein oder zwei Treffer markieren können, aber es sollte halt nicht sein. Note 2,5

Kevin Großkreutz: Wieder etwas aktiver auf der linken Offensivseite. Prüfte Sippel einmal und zielte beim nächsten Mal dann an ihm vorbei. Für die unnötige Provokation der Gästefans gibt’s von uns aber eine Note Abzug. So etwas ist überhaupt und gerade nach einer solchen Partie nur albern. Note 3

Lucas Barrios: Zwei Tore geschossen, eine Großchance vorbereitet und beim 4:0 durch Lewandowski quasi durch aktive Passivität ebenfalls eine Art Vorlagengeber. Geht kaum besser. Note 1,5

Robert Lewandowski: Zwanzig Minuten auf dem Platz. Das reicht normalerweise kaum, um sich zu beweisen. Zum zweiten Mal reichte es nun aber für ein Tor, noch dazu ein sehenswertes. So langsam gewöhnt er sich anscheinend an das Spiel und die Rolle als 10er. Note 2

Aufstellungen und Statistik

Borussia: Weidenfeller - Piszczek, Subotic (78. Santana), Hummels, Schmelzer - Bender, Sahin - Kuba, Kagawa (70. Lewandowski), Großkreutz (70. Götze) – Barrios


Kaiserslautern: Sippel - Dick, Amedick, Rodnei, Jessen – Kirch (61. Walch), Tiffert, Bilek, Ilicevic – Hoffer (61. Micanski), Lakic (77. Moravek)

Tore: 1:0 Barrios (31.), 2:0 Großkreutz (38.), 3:0 Hummels (65.), 4:0 Lewandowski (75.), 5:0 Barrios (88.)

Gelbe Karten: Subotic – Lakic, Amedick, Dick, Bilek

Zuschauer: 70.100, darunter gut 3.000 rote Teufel

Schiedsrichter: Marco Fritz – Note 2. Ein oder zwei Abseitsentscheidungen waren verkehrt, aber wer will da kleinlich sein? In der Zweikampfbeurteilung lag er jeweils richtig und wenn seine Gegenwart kaum bemerkt wurde, kann’s so schlecht ja nicht gewesen sein.

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