Alles wunderbar
Nach etlichen tristen Tagen zeigte sich Dortmund heute von seiner besten Seite. Die Fans kamen aus Arizona, aus Pennsylvania, aus Dunfermline und einer kam mit Regenschirm. Während die Sonne über Dortmund schien, braute sich über dem Mann mit dem Regenschirm ein Unwetter zusammen. Die seelenlose Millionentruppe aus der Autostadt liegt nach drei Spieltag bereits am Boden, während Borussia sich eine optimale Ausgangsposition für die kommende Auswärtswoche erspielte und die vielleicht 700 Gästefans mit einem 2-0 zurück auf die A2 schickte.
Wenn man unter der Woche die Zeitung aufschlug oder durchs Netz surfte konnte dem Derbyboykott nicht ausweichen, so auch im Westfalenstadion. Unter der Südtribüne hatten die Initiatoren der „Kein Zwanni für nen Steher"-Kampagne alle Hände voll zu tun und verkauften vor dem Spiel alle 3.500 Protestshirts. Als die Shirts am Ende rar wurden, besorgten sich die stämmigeren Fans auch ein Shirt der Größe S. Irgendwie geht's dann ja doch drüber. Die Südtribüne bot so bereits vor dem Spiel ein beeindruckendes Bild. Sie war in Gelb getaucht. Zahlreiche Spruchbänder auf allen Tribünen begleiteten die Aktion. „Derbytag – 14.00 Uhr – Alle zu den Amas" prangerte es da von der Nord, die West forderte „Derby am 19.09 boykottieren" und auf der Süd ging es gleich über 3 Ebenen verteilt um die Ticketpreise. „Die Ticketpreise werden angehoben – Kunden werden Fans vorgezogen – Gegen überteuerte Ticketpreise" war dort in aller gebotenen Länge zu lesen. Auch die versprengten, und in die Nordostecke abgeschobenen Wolfsburger schlossen sich der Kampagne mit einem „Kein Zwanni für nen Steher" Banner an. Ein schönes Signal der Wolfsburger, die ansonsten dort oben ein tristes Bild abgaben. Der eigentliche Gästeblock war fest in Dortmunder Händen, anfangs von einem Capo mit Megaphon instruiert. Dieser verschwand dann aber während des Spiels in der Fanmasse.
Als die Fahnenschwenker dann Platz für die Mannschaften machen und AC/DC ihr nervtötendes „Thunder Thunder Thunder" durchs Stadion schreien und grün/weiße und schwatz/gelbe Luftballons gen Himmel fliegen, ist der Protest jedoch für diese 105 Minuten vergessen. Die schwatz/gelben Ballons entscheiden das Duell für sich und entschweben Richtung Innenstadt. Die Spieler schauen den Ballons gedankenverloren hinterher, der für Götze ins Team gekommene Kuba verabschiedet sie mit einem gut gemeinten „Do Widzenia" und Schiri Aytekin, mit Westfalenstadionpremiere, pfeift das Spiel an. Es wird sein letzter guter Pfiff in diesem Spiel sein, zur Halbzeit windet sich Schiribeobachter auf der Tribüne mit einem „davon habe ich keine Ahnung" aus der Frage nach der Leistung Aytekins. Die Wolfsburger, die auf den blauen Psychotrick verzichten, und in grün und weiß antreten, müssen in ihren Reihen den Jungnationalspieler Sascha Riether ersetzen. McClarens Wahl fällt auf den U21-Europameister Johnson, der im weiteren Verlauf des Spiels keine Mittel gegen die brandgefährlichen Vorstöße Schmelzers finden wird. Anfangs ist noch nicht klar, in welche Richtung das Spiel laufen wird. Subotic erlaubt sich zu Beginn gleich zwei dicke Patzer in Folge, plötzlich taucht Dzeko im Dortmunder Strafraum auf, verzieht jedoch knapp. Die Chance sollte abgesehen von einem Mandzukic-Kopfball und einem Dzeko-Lattenkracher kurz vor der Pause das letzte Ausrufezeichen der katastrophalen Wolfsburger Mannschaft sein.
Die Borussia hingegen zeigt sich wie das Dortmunder Wetter von ihrer besten Seite. Mit konsequentem Pressing gewinnt man die Bälle früh in der Wolfsburger Hälfte, die Sahin-Standards fliegen in den Strafraum und die überforderte 26 Millionen Innenverteidigung der Wolfsburger gewinnt kaum ein Kopfballduell. Allein der überzeugende Benaglio verhindert in der ersten Halbzeit eine Dortmunder Führung. Er pariert die Bälle von Barrios, Hummels und Barzagli, der den Ball zwischendurch auch mit der Hand aus dem Strafraum bugsiert. Aytekin sieht das nicht und verzichtet auch beim brutalen Einsteigen des desolaten Cicero gegen Kagawa auf den fälligen Platzverweis. Kurz vor Ende der ersten Halbzeit setzt sich Diego dann gegen drei Dortmunder durch, legt sich den Ball dann etwas zu weit vor. Kehl sperrt den Ball regelkonform und lässt den Ball ins Toraus trudeln. Diego, der im Westfalenstadion immer schlecht aussieht, knallen die Sicherungen, er verpasst Kehl einen Tritt. „Kehl ist bekannt dafür, zu provozieren. Und Diego wollte den Ball spielen", erklärt der Vereinszerstörer Hoeneß die Situation später, Aytekin sieht es ähnlich. Er ermahnt Kehl und gibt Diego die gelbe Karte.
Nach der Pause kommen die Dortmunder früh zurück, Wolfsburg lässt sich Zeit, kommt eins zwei Minuten später. Als letzter Wolfsburger erscheint Dieter Hoeneß. Er spaziert über das Spielfeld, immer in Richtung Westtribüne. Er lässt sich Zeit und wird nicht angegriffen. Ein Bild, das sich wie ein roter Faden durch die zweite Halbzeit ziehen wird. „Ich hatte so viel Zeit nachzudenken. Erst wollte ich den Ball raus auf Kevin spielen, dann hab ich gedacht: Probiere es doch mal von hier". Gedacht, getan, getroffen. In der 50. Minute zimmert Sahin den Ball aus 29m in den Winkel. Jetzt spielt hier nur noch eine Mannschaft, auch der eingewechselte Hasebe, der in der 53 Minute für Cicero kommt, kann daran nichts ändern. Diego findet nicht statt, der Rest des Mittelfeldes befindet sich im kollektiven Winterschlaf und der überforderte Johnson kämpft erfolglos gegen die Vorstöße des grandiosen Schmelzer. Zu Beginn der 67 Minuten passen sich die Schwatzgelben den Ball an der Mittellinie hin und her. Von links geht es langsam nach rechts und von dort wieder in die Mitte. Und auf einmal spielt Kehl den Ball nach vorne, zu viel für die trägen Wolfsburger. Großkreutz nimmt den Kopf hoch, sieht Kagawa und passt den Ball in die Lücke. Der 350.000€-Mann aus Japan bedankt sich beim 12.000.000€-Mann Kjaer, läuft noch ein, zwei Schritte und bejubelt dann seinen ersten Bundesligatreffer. Auf der Tribüne ist da längst klar, wir gewinnen das Ding.
Die Derbyvorbereitungen beginnen. Der Derbysieg wird gefordert, der punktlose Rivale mit allerlei Gesängen geschmäht und hin und wieder schleicht sich sogar ein „BVB"-Wechselgang ein. Wenn es zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West hin- und herschallt, macht das schon mächtig was her. Das Stadion steht, die Wolfsburger stehen, Owomoyela haut den Ball an die Latte, Hummels marschiert über den ganzen Platz, Barrios spart sich seine Tore für Lviv und Sonntag. Ein perfektes Spiel trudelt langsam aus. Über McClaren und seine Einzelkämpfer ziehen dunkle Wolken auf, über Klopp und seine junge Dortmunder Mannschaft scheint die Sonne. Sie wird sie in der kommenden Woche nach Lviv begleiten, und am Sonntag nach Gelsenkirchen. Ein Großteil der Fans wird darauf verzichten. Auch dort wächst gerade eine beeindruckende Mannschaft zusammen. Manchmal scheint alles perfekt. Manchmal war heute.
Statistik
Borussia Dortmund: Weidenfeller (3) – Owomoyela (3), Subotic (4), Hummels (3), Schmelzer (2) – Kehl (3,5), Sahin (1,5) – Kuba (3), Kagawa (2,5), Großkreutz (3,5) – Barrios (4).
VfL Wolfsburg: Benaglio - Johnson, Kjaer, Barzagli, Schäfer - Josué, Cicero - Ziani, Diego, Mandzukic - Dzeko.
Tore: 1:0 Sahin (50., Kehl), 2:0 Kagawa (67., Großkreutz),
Eckstöße: 4:0 (Halbzeit 2:0), Chancenverhältnis: 10:4 (4:3).
Schiedsrichter: Aytekin (Oberasbach/Bayern), Gelbe Karten: Sahin, Großkreutz - Cicero, Diego, Dejagah.
Zuschauer: 73.600.
Die Fotostrecke zum Heimsieg gegen Wolfsburg gibt es auf unserer Fotoseite.