Eua Senf

Ein Tag Gefängnis in Sevilla I

20.12.2010, 18:55 Uhr von:  Gastautor

Hier ist der erste Bericht eines der Verhafteten aus Sevilla. Wir veröffentlichen die Berichte, weil es uns am Herzen liegt, die unglaublichen Vorgänge, die mitten in der europäischen Union geschehen sind, zu dokumentieren. Wie Berichte von Fans anderer Vereine zeigen, scheinen wir Borussen kein Einzelfall gewesen zu sein. Wir bedanken uns bei allen Geschädigten, die es in so kurzer Zeit fertig brachten, von diesen Geschehnissen zu berichten.

Hallo ihr alle,

ich will mal in den folgenden Zeilen versuchen, euch meine Gefühle und das Erlebte aus Spanien wiederzugeben, ich hoffe das klappt.

Also fange ich mal von vorne beim Marsch und den Aktionen mit den Sitzschalen etc. an. Viele werden wissen, dass ich mich die ganze Zeit weit weg von allen Aktionen befunden habe, da ich einfach Angst hatte, dort festgenommen zu werden, aber auch Angst hatte, dass jemand anderes festgenommen wird.
Naja, geendet hat es ja nun damit, dass wir nach dem Spiel festgenommen wurden. Gründe dafür waren zumindest bei mir wohl kleine Sachen, wie nicht da zu stehen, wo die Cops gesagt haben, wo ich stehen soll – naja, auch egal.

Komm ich mal zu dem Teil, den so gut wie keiner mehr mitbekommen hat. Nachdem wir also aus dem Block gezogen worden sind, ging es raus an einen Bauzaun unter der Kurve. Dort musste ich mich erst nochmal mit dem Kopf zum Zaun, den Armen an den Zaun und Beinen auseinander hinstellen. Alles wurde durchsucht, u. a. auch mein Portemonnaie. Da ich natürlich öfter nach hinten geguckt habe, damit ich sehe, ob sie mir Kohle klauen, was z. B. bei einem Anderen geschehen ist (35 €), wurden die Bullen ein wenig aggressiver. Sie traten mir die Beine so weit auseinander bis ich Schmerzen hatte, da ich so extrem im Spagat stand. Desweiteren gab es immer wieder die Ansage, nach vorne zu gucken und ein paar kleine Klapse auf den Hinterkopf.

Hinter mir hörte ich, wie die anderen herangeführt wurden. Einer bekam dabei immer wieder leichte Schläge auf den Hinterkopf, ein weiterer Kollege wurde sehr hart angegangen und hat viele Schläge abbekommen. Ich musste hinter meinem Rücken immer wieder hören, wie Leute schrien und durch die Gegend flogen. Nachdem wir hinter dem Rücken fixiert und auf den Boden geworfen wurden, gab es immer wieder Sprüche auf Spanisch und Gelächter der Polizisten. Einer kam und zog an meinem Ohr, lachte dabei und sagte etwas auf Spanisch.

Irgendwann ging es dann jeweils mit sechs Leuten in einem Kastenwagen los. Unangeschnallt und mit den Armen auf dem Rücken durften wir nun eine nette Fahrt mitmachen: Schnelles Anfahren, hartes Bremsen und extreme Kurvenlage machten die Fahrt sehr „angenehm“. Man flog teilweise seinem Gegenüber auf die Beine.

Nach gefühlten zehn Minuten waren wir am ersten Ziel der 20 Stunden Angst angekommen. Eine Polizeistation irgendwo in dieser Stadt. Dort ging es in einen langen Flur mit einem Raum, in dem wir nach und nach nochmal kontrolliert wurden. Von kleinen Aktionen wie auf den Boden geworfen zu werden, über Provokationen bis hin zu kleinen Kniffen und leichten Schlägen war wiederum alles dabei. Dort wurden wir dann gefragt, was wir wollen, z. B. ob wir die Botschaft anrufen LASSEN wollen oder nicht. Dazu wollten sie die Namen von Leuten wissen, die informiert werden sollen, und ob wir eine Aussage bei Cops oder Richter machen wollen. Wir durften auch die ersten Fingerabdrücke vom rechten und linken Daumen abgeben.

Auf dem Flur kam irgendwann ein jüngerer Bulle und riss den Kappenträgern die Mützen runter, brüllte auf Spanisch etwas und steckte uns die Kappen in die Shirts. Sprüche wie „You know Heinrich Himmler or Auschwitz?“ und das Andeuten einer Dusche machten einem natürlich auch keinen Mut. Irgendwann gegen 2-3 Uhr ging es in den Keller zu den Zellen, in welche wir nun nach und nach reingeführt wurden. Dort wurde alles durchsucht. Bänder etc. von Jacken, Pullovern und Hosen wurden abgeschnitten und die Schnürbänder aus den Schuhen gezogen. Geldscheine durften wir mit in die Zelle nehmen. Vorher musste jeder einmal die Hosen runter- und das Shirt hochziehen und sich im Kreis drehen. Gegen 3 Uhr etwa dürften wir in den Zellen gewesen sein. Die Zellen waren 2*3 Meter, ganz aus weißen Fliesen und auf einem kleinen Podest brannte die ganze Zeit Licht.

Einige bekamen Unterlagen und Decken, einige bekamen gar nichts. Die Unterlagen waren etwa 3cm dick und aus kaltem Leder, die Decken waren übersät mit Flecken. Toiletten etc. gab es nicht und die Klimaanlage war an, so dass es sehr kalt dort war. Schlafen konnte aufgrund der Angst, des Lichtes und der Kälte so gut wie keiner. Jedes Mal, wenn man jemanden kommen hörte, wurde die Angst wieder größer.

Was sehr erschreckend war, hätten wir kranke Leute gehabt und die hätten dort einen Anfall bekommen, wären sie drauf gegangen. Es waren keine Cops in der Nähe, die man hätte rufen können, es gab keinen Notfallknopf oder Kontrollen. Das Einzige, was mich - und ich denke, den anderen ging es da ähnlich - am Leben gehalten hat, war, dass man in einem Block war und sich untereinander hörte und miteinander reden konnte. Irgendwann gegen gefühlt 9 Uhr ging es zum Fingerabdrücke und Fotos machen. Fingerabdrücke einmal via PC und einmal mit Farbe, danach wurden wir wieder zurück in die Zellen gesteckt. Man hatte keine Infos oder sonstwas, man war echt am verzweifeln. Gegen 12-13 Uhr ging es wieder einzeln zum "Anwalt", ob das nun wirklich einer war oder nicht – kein Plan. Dort wurde dann gesagt, dass es in etwa zwei Stunden zum Gericht geht. Noch kurz unterschrieben und wieder ging es runter in die Zelle. Die quasi letzten Stunden dort waren dann schlimm, da die Zeit nicht rum ging.

Die Angst war sehr groß, dass doch noch jemand reinkommt und einen angeht. Das Einzige was noch passierte, war, dass irgendwann ein Wächter die Tür aufmachte, zwei Putzfrauen etwas sagten und mehrmals mit einer Flasche Zitrusreiniger in die kleine Zelle sprühten, was nicht wirklich angenehm war.
Gegen 15 Uhr war es endlich so weit, aus der Einzelzelle ging es in eine Sammelzelle mit allen Inhaftierten in eine Zelle, die nun wirklich wie eine Gaskammer aussah.

Nach kurzer Zeit ging es dann los, zu zweit in Handschellen in die Kastenwagen Richtung Gericht bei gleichem Fahrstil wie schon vom Stadion zur Wache.
Dort angekommen wieder runter in Zellen, dieses mal Einzelzellen mit Loch im Boden für seine Geschäft mit einem Waschbecken, welches als solches schwer zu erkennen war, und wieder einem Podest. Jeweils zu sechst kam man in diese Zellen.

Man versuchte immer wieder, kleine Späße zu machen, um nicht ganz durchzudrehen. Dort bekam man dann auch mal etwas zu Essen, was nicht genießbar war. Irgendwann kam auch der Übersetzer, der sagte, er wäre der mit dem Schalke-Schal neben dem Gästebereich gewesen! Nun erfuhren wir zum ersten Mal, was uns zur Last gelegt wird. Allen fast das Gleiche: Angriff auf Polizisten und Körperverletzung. Er sagte uns, wir würden das Angebot bekommen, ein Jahr auf zwei Jahre Bewährung und 120 €. Wenn wir das nicht annehmen, würde es dauern, bis wir vor den Haftrichter kommen. Dort würden wir dann mindestens 18 Monate ohne Bewährung bekommen. Wir haben natürlich sofort alle gesagt, dass wir das annehmen. Man wollte ja nur raus. Das Ganze zog sich nun bis 20 Uhr. Der letzte Flug nach Deutschland ging um 20:30 Uhr und es war wohl nicht gewollt, dass wir den nehmen könnten. Zwischendurch kam der Übersetzerarsch und wollte uns verarschen, in dem er sagte, der Staatsanwalt fordere nun doch mehr und es sehe nicht nach einer Bewährungsstrafe aus. Nach kurzem Schock und richtiger Hilf- und Hoffnungslosigkeit sagte er: „War Spaß“.

Naja, wie gesagt gegen 20:15 Uhr haben ich und die letzten beiden anderen nur noch schnell den Wisch unterschrieben, unsere Sachen wiederbekommen und schnell raus.

Draußen stand dann Jens: So ein Glücks- und Freudengefühl kannte ich noch nicht. Es war so schön, als er uns dann noch sagte, Borussia hätte 7000 € dagelassen, da war man unbeschreiblich glücklich! Mit Jens ging es dann schnell zum Hotel, da auch noch Sevilla-Leute unterwegs waren. Wir sind dann erst mal in eine kleine Kneipe, um nach über 20 Stunden die ersten Getränke und Snacks zu uns zu nehmen. Jens hatte in der Zeit Flüge und Hostel gebucht, und Freitag ging es endlich Heim.

Diese 20 Stunden hinterlassen nicht nur körperlich Spuren. Vor allem im Kopf spielt sich einiges ab. Das Ganze zu verarbeiten wird noch lange dauern, denke ich. Danke auf jeden Fall an alle Helfer und an due Leute, die an einen gedacht haben, und Leute, macht euch eins bewusst: Freiheit ist das Wichtigste und Schönste auf der Welt. Denkt da immer dran, scheißt aufs Geld oder sonst was. Genießt die Freiheiten, die wir leben, und macht euch das auch mal im Stadion bewusst. Nach diesen Tagen kann ich noch weniger verstehen, nicht Spaß an der Sache zu haben, und auch wenn in Frankfurt die Polizei mal okay war, ist für mich jedes Vertrauen in die Polizei verloren gegangen.

geschrieben von K. (Person der Redaktion bekannt)


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