Eua Senf

Derbyboykott: Wähle deine Konsumenten

07.09.2010, 11:26 Uhr von:  Gastautor

Schalke 04 und Borussia Dortmund sind wohl die größten Rivalen im deutschen Fußball. Das Spiel zwischen den beiden Teams, deren Städte nur ein bisschen mehr als 30 km auseinander liegen, wurde vom World Soccer Magazine auf den siebten Platz der größten Fußball Derbys der Welt gewählt. Es ist das Spiel, auf das die Fans beider Mannschaften die ganzen Saison lang warten. Ohne Frage, es ist das wichtigste Spiel des Jahres für sie.

Diese Saison wird das Spiel am Sonntag den 19. September stattfinden, aber etwas wird anders sein:

Weit mehr als 200 Fangruppen von Borussia Dortmund unterstützen einen Boykott des Spiels und werden nicht zur Veltins Arena, dem Stadion der verhassten Nachbarn, fahren. Was musste passieren, damit eingefleischte Fans an den Punkt gebracht werden, an dem sie es in Kauf nehmen, ein Spiel zu verpassen? Stell dir vor, es geht ums Geld.

In der deutschen Bundesliga ist das Heimteam verpflichtet, 10 % der Tickets den Auswärtsfans anzubieten. Diese rund 6200 Karten für Dortmund Fans sind normalerweise in Sekunden ausverkauft. Dieses Jahr allerdings hat Schalke die Preise für einen Stehplatz auf 22 € und für einen Sitzplatz auf 55 € erhöht und erzürnte damit die Dortmund Fans.

Wenn man in den USA lebt und an Kartenpreise wie in der NFL gewöhnt ist oder wenn man in England lebt und die Kartenpreise der Premier League gewöhnt ist, kann man sich kaum vorstellen, dass die Leute sich über Karten beschweren, die umgerechnet nur 28 US$ / 18 GBP kosten. Die deutsche Bundesliga ist dagegen bekannt für eher moderate Kartenpreise.

Die treuen Fans auf den Stehplätzen sind es nicht gewohnt mehr als 15 € für ein Spiel zu bezahlen, insofern sind die 22 € die Schalke verlangt 50 % mehr, als sie erwarten würden.

Gleichzeitig wird die Bundesliga, von den vier oder fünf großen europäischen Fußballligen, als diejenige angesehen, in der die Stadionatmosphäre die beste ist und sie kann den höchsten Zuschauerschnitt des Kontinents aufweisen.

Christian Seifert, Vorsitzender der Geschäftsführung der DFL, erklärt: „Der Erfolg der Bundesliga liegt in dem Wert der Fans für die Klubs. Daher werden die Kartenpreise so günstig gehalten. [Die Klubs] sind sehr fanorientiert.“ Die Fans in Deutschland sorgen sich nun, dass diese Tage bald vorbei sein werden. Sie haben die Entwicklung in anderen Liegen wie z.b. England über die letzten 20 Jahre genau beobachtet, in denen Klubs sich von lokalen Fußballvereinen zu globalen Marken entwickelten, Stehtribünen geschlossen wurden, Kartenpreise in die Höhe schossen, Zuschauer die lautstarken Fans ersetzten und die Atmosphäre von begeisternden gemeinschaftlichen Gesängen zu opernhaftem „bleib ruhig und genieß“ wandelte.

In ihrem Boykottaufruf haben die Dortmunder Fans sich wie folgt geäußert:

„Natürlich fällt es schwer, den Verein im Derby nicht zu unterstützen. Wir wollen aber auch in Zukunft weiterhin farbenfrohe und lautstarke Kurven und nachfolgende Generationen, die die Faszination Fußball und Borussia im Stadion erleben können. Um dafür zu kämpfen, ist dieser Schritt leider notwendig. Die Mannschaft wird darüber informiert.“

Die Diskussion ist voll entbrannt. Wer hat recht, wer liegt falsch?

Offenkundig wird Schalke ein Spiel ausverkauft bekommen, für das mehr als 100000 Karten verkauft werden könnten, da spielt es keine Rolle ob 6200 Dortmund Fans mehr oder weniger im Stadion sind. Vermutlich werden selbst die Plätze im Gastbereich mit Dortmund Fans gefüllt sein, nur nicht die treuen Fans, die in Fanclubs organisiert sind, sondern besser betuchte, unorganisierte Fans, die sich nicht für einen Fanboykott oder die Fanszene im Allgemeinen interessieren.

Auf den ersten Blick ist das ein ökonomisch idiotensicheres Vorgehen – erhöhe die Kartenpreise und verkaufe immer noch die gleiche Menge. Aber ein Haken ist dabei: Nicht alle Kunden sind die gleich. Die boykottierenden Fans sind treu und sind sogar Teil des Produktes geworden. Wie bei jeder anderen Fußballliga sind die Einnahmen der Bundesliga aus spieltagsbezogenen Einnahmen, Sponsoren- und Übertragungseinnahmen zusammengesetzt. Wird nun probiert die Spieltagseinnahmen zu steigern, werden die Tribünen weniger farbenfroh und lautstark sein, denn einige der Fans die für die Stimmung sorgen, werden durch die Preise verdrängt. Dies würde den atmosphärischen Wert des Produktes reduzieren, das Spiel unattraktiver im Fernsehen aussehen lassen, was möglicherweise zu niedrigeren Übertragungs- und Sponsoreneinnahmen führen könnte und langfristig würden eventuell auch die Gelegenheitsbesucher etwas im Stadion vermissen und das Spiel lieber vor dem TV sehen, anstatt ins Stadion zu gehen.

Ich muss eingestehen, dass diese Sichtweise vereinfacht und schwarz-weiß-malerisch ist, denn einige Verantwortliche der Bundesliga behaupten, dass höhere Kartenpreise es ermöglichten, bessere Spieler zu verpflichten, was zu höherer Wettbewerbsfähigkeit führen würde und wodurch wiederum höhere Einnahmen aus den internationalen Wettbewerben resultieren usw. Vielleicht stimmt nur eine dieser Sichtweisen, ich habe noch keine finale Antwort dazu welche das ist.

Indes ist mein Punkt ein anderer und zwar etwas, worüber man nicht allzu oft etwas in Marketinglehrbüchern liest: Man hat die Wahl. Man kann sich seine Kunden auswählen. Das sollte man weise machen.

Zu vielen Gelegenheiten, hat man die Möglichkeit, seinen Kundenstamm zu wechseln, um kurzfristig die Gewinne zu erhöhen. Jedoch kennt man seine neue Kundschaft schlechter als die Alte. Man weiß nicht viel über ihre Motivation, ihre Treue usw. Es steckt ein Risiko darin, die alten Kunden durch neue profitablere Kunden zu ersetzen, denn die Neuen könnten weiterziehen und ein Geschäftsmodell zurücklassen, das weder alte noch neue Kunden hat.

Dieses Risiko zu erkennen, fällt schwer, denn kurzfristig optimiert man sein Geschäft, während man es mittel- bis langfristig einem Risiko aussetzt. In Zeiten von immer schnelllebigeren Berichtszeiträumen und kürzeren Betriebszugehörigkeiten von Managern ist es nicht einfach, andere zu überzeugen, von einer kurzfristigen Profitmaximierung wegen ungeklärten langfristigen Risiken abzusehen.

Es sieht so aus, als ob die Bundesligaklubs genau vor dieser Frage stünden. Das Spiel wird am 19. September in einem ausverkauften Stadion stattfinden. Die Atmosphäre hingegen wird nicht so gut wie gewohnt sein. Es ist die Entscheidung der Klubs, ob das eine Rolle spielt oder nicht, genauso wie es ihre Entscheidung ist, welches Kunden ihre Zielgruppe sind.

Johannes Musseleck, Business Game Time - Linking Sports and Business

aus dem Englischen von mrg, WBSTRR


geschrieben von Johannes Musseleck

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