Am Ende der dunklen Gasse...
Fünfzig Monate sind vergangen seit dem düstersten Tag meines Fußballlebens. Fünfzig Monate liegen zwischen Mai 2009 und März 2005, fünfzig Monate seit unsere Borussia in der absoluten Talsohle ihrer jüngsten Vereinshistorie stand. Vor fünfzig Monaten tagte eine außerordentliche Versammlung des Molsiris-Immobilienfonds in Terminal E des Flughafens Düsseldorf-International. Vor fünfzig Monaten ist Borussia „im Vorraum der Pathologie dem Tod von der Schippe gesprungen“.
Seither erlebten unser Ballspielverein und seine aufgesetzte Kapitalgesellschaft eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Der besten Rückrunde der Vereinsgeschichte unter Bert van Marwijk folgten dessen unrühmliche Entlassung, Jürgen Röber, Abstiegskampf, Thomas Doll, die Mutter aller Derbysiege und das Pokalfinale mit anschließendem Europapokalausflug nach Udine im letzten Kalenderjahr. Eine „Übergangssaison“ folgte auf die nächste. Doch noch mal ganz langsam...
Das Jugendkonzept von van Marwijk, welcher damals unter falschen Versprechungen Matthias Sammer beerbte, machte 04/05 vor allem Sahin, Kruska und Odonkor damals zu Stammspielern und Identifikationsfiguren, brachte die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte und den ersten Derbysieg seit 1998 ein. Doch der neue starke Mann und Retter von Borussia, Hans-Joachim Watzke, setzte diesem mit vermeintlicher Starpower genau so ein Ende wie „dem besten BVB-Trainer seit Ottmar Hitzfeld“ selbst. Pünktlich zur WM setzte man dem eher unbekannten aber allseits beliebten Ebi Smolarek einen teueren Nelson Valdez vor die Nase und verschrieb dem Trainer, der zuvor mit seinem typischen 4-3-3 die Borussen verzückt und geeint hatte, ein neues Spielsystem. Die Spielweise der Mannschaft verlor an Attraktivität und Erfolg, beim letzten Spiel der Hinrunde wurde van Marwijk aus dem Stadion gebrüllt – und durch Jürgen Röber ersetzt.
Damals, wie ich gestehen muss, hielt ich ihn für eine durchaus akzeptable Lösung. Watzkes Wunschtrainer Thomas von Heesen hatte sich zuvor selbst bei Bielefeld von der Bank befördert und schien für die Sommerpause als neuer Übungsleiter schon Gewehr bei Fuß zu stehen, wollte sich aber nicht dazu erbarmen, Borussia – wie im Vorjahr auf Platz 09 stehend! – im Winter zu übernehmen. Felix Magath sagte ebenfalls ab, da er der Meinung war, dass die Ansprüche des Vorstands mit dem vorhandenen Material nicht zu erfüllen seien. Jürgen Röber traute sich dies jedoch zu und übernahm für glorreiche zehn Wochen die Verantwortung beim BVB. Einem Heimsieg gegen den FC Bayern folgten sechs Niederlagen und nur ein weiterer Sieg, sodass dieses „Missverständnis“ auch schnell ad Acta gelegt werden konnte.
Mitte März 2007 übernahm der junge Thomas Doll dann das Ruder und stand nach zwei Spieltagen auf einem Abstiegsplatz. Die Fanabteilung initiierte die Aktion „Wir sind Borussia!“, welche merklich den Zusammenhalt unter den Fans stärkte und die Spieler begannen mit einem unglaublichen 1-4 Auswärtssieg in Aachen eine tolle Serie, die mit dem Derbysieg am 12. Mai und Platz 7 gekrönt wurde. Doll wurde gefeiert, durfte die Mannschaft zur kommenden „Übergangssaison“ nach seinen Wünschen umbauen (Klimowicz, Kovac und Petric (als „Zehner“!) wurden verpflichtet, Sahin, Smolarek und Ricken aussortiert) und damit für frischen Wind sorgen.
Wir alle erinnern uns gern zurück an fußballerische Feinkost wie die Heimspiele gegen Hamburg, Frankfurt, Karlsruhe oder Hannover! Natürlich war auch unter Thomas Doll nicht alles schlecht, doch schon zu Beginn seiner Arbeit in der Saison 07/08 wurden Parallelen zu seinem Engagement in Hamburg deutlich, sodass am Ende nur das wohl stimmungsvollste Pokalfinale aller Zeiten über eine sportlich äußerst enttäuschende Saison hinwegtröstete. Doll wirkte aufgesetzt euphorisch und dadurch unsicher. Seine Aussagen und Handlungen widersprachen sich teilweise oder waren inkonsequent. Ausgerechnet am Tag eben diesen Pokalfinals, welches Doll wohl immerhin bis zum Ende der Saison rettete, geisterte der Name Jürgen Klopp als neuer BVB-Trainer über diverse Ticker.
Und so kam es dann auch. Nach Platz 13 in der Liga und trotz UEFA-Cup-Teilnahme wurde Thomas Doll einvernehmlich gegangen und Jürgen Klopp übernahm, nachdem seine Mainzer den Wiederaufstieg erneut verpassten, die Geschicke beim Ballspielverein. Und wie er das tat! Ein Beleg für die neu entfachte, aber durchaus irgendwie bodenständige Euphorie waren anziehende Dauerkartenverkäufe und ein Trainingsauftakt vor fast 20.000 Zuschauern. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt... oder?
Heute könnte man diese Frage getrost mit „DOCH!“ beantworten. Wurden dem BVB nach einer Hinrunde mit 29 Punkten noch Leistungen „über ihren Verhältnissen“ und nur eine „positive Tendenz“ attestiert, so muss man der Mannschaft nach dem 32. Spieltag, an dem die Punktzahl der Hinrunde bereits fast verdoppelt ist und Borussia jüngst einen neuen Vereinsrekord für siegreiche Spiele in Folge aufgestellt hat, eine berauschende Stabilität in der Defensive und die versprochenen „Vollgasveranstaltungen“ in der Offensive bescheinigen. Nur fünf Niederlagen, alle davon in der Fremde, sind eigentlich die Bilanz eines Meisters! Nach der finanziellen Konsolidierung scheint nun also endlich, dem authentischen und sympathischen Jürgen Klopp, der die Stimmung im gesamten Verein durch seine ehrliche Art deutlich angehoben hat und von allen Seiten größtes Ansehen genießt, zum Dank, auch die sportliche Situation wieder „in ruhigem Fahrwasser“. Man erkennt eine klare Handschrift, ein klares Konzept und vor allem die Kontinuität, die in den letzten fünfzig Monaten durchweg gefehlt hat. Trotz holprigem Start in die Rückrunde wurde die sportliche Leitung vorzeitig langfristig gebunden, dazu scheinen Klopp, Zorc und Ricken fantastisch zu harmonieren.
Das alles wird getragen und gefeiert von einer Gelben Wand, die zu alter Stärke zurückgefunden hat. Eine Gelbe Wand, die ihrem Namen und ihrem Ruf endlich wieder gerecht wird. Allein die Anzahl der mitgereisten Fans bei Auswärtsspielen trotz tabellarischem „Niemandsland“ ist ein herausragendes Qualitätsmerkmal, hinzu kommen eine mittlerweile bemerkenswerte Geduld und hoffentlich realistische Erwartungen. Während man sich in der Vergangenheit des Öfteren vor den Gästefans geschämt hat, als „Nobby“ Dickel vor dem Spiel die „besten Fans der Liga“ auf der Südtribüne begrüßte, darf man sich diesen Titel heute wohl durchaus zurecht ans Revers heften. Diese Saison ist, egal wie sie sportlich letzten Endes ausgeht, ein voller Erfolg. Die Berg- und Tal-Fahrt, die uns in den letzten fünf Jahren begleitet hat, hat wohl endlich ein Ende gefunden. Borussia steht sowohl finanziell als auch sportlich wieder auf einem mehr als soliden Fundament.
Als am letzten Spieltag der Saison 04/05 The Unity die Choreographie zur Einführung der Gelben Wand mit den Worten „Am Ende der dunklen Gasse erstrahlt die Gelbe Wand!“ abschloss, war das vermutlich etwas vorschnell...
... heute trifft es aber absolut zu. Der BVB is’ wieder da!