Berlin mit dem Zug - das geht ab!
Nach dem grandiosen Pokalfinale 2008 sollte es also wieder für Bundesligafußball ins Berliner Olympiastadion gehen. Immerhin datiert das letzte Bundesligaspiel auch schon aus dem Spätsommer 2007. Wie so oft galt es im Vorfeld die Frage der Anfahrt zu klären. Schon kurios: fuhren in den letzten Jahren immer recht zahlreiche Busse der aktiven Fangruppierungen gen Olympiastadion, hielt sich das Interesse an einer Busfahrt in diesem Jahr arg in Grenzen, so dass man alternative Anreisemöglichkeiten in Erwägung ziehen musste. Der Großteil entschied sich letztlich für die knapp neunstündige Fahrt mit dem ÖPNV mit Umstieg in Hamm, Bielefeld, Braunschweig und Magdeburg.
Mit dem WET nach Berlin
So trafen sich die ersten Zugfahrer bereits um kurz nach drei Uhr nachts am Dortmunder Hauptbahnhof. Fast minütlich trudelten immer mehr Mitfahrer ein, so dass man bei der Abfahrt, die für 04:17 Uhr vorgesehen war, auf eine recht stattliche Anzahl an Mitfahrern kam. Doch selbst wenn man im guten Glauben ist, dass es mitten in der Nacht eigentlich gar keine Verspätungen geben kann, wurde man vom Unternehmen Zukunft mal wieder eines besseren belehrt. Letztlich fuhr der Westfalen-Express gen Hamm satte fünfzehn Minuten später in Dortmund ein. Nur gut, dass man an allen Umsteigebahnhöfen fast ausschließlich über eine halbe Stunde Aufenthalt haben sollte. So ging es ab Hamm auch recht locker weiter zum nächsten Zug, der uns nach Bielefeld bringen sollte. Im Übrigen ebenfalls der Regionalexpress der Linie sechs. Schon recht sinn frei, warum man diesen nicht einfach weiter gen Ostwestfalen durchfahren lässt. Deutsche Bahn Logik eben.
Auf der Weiterfahrt nach Bielefeld machte der ein oder andere dann auch Bekanntschaft mit der heutigen Begleitung. Und diese trug weder wilde Feuerwehrhelme, noch Schlagstöcke und die Tatsache, dass die heutigen Polizeibeamten keine wilden Zeichen auf dem Rücken trugen, ließ bei vielen Mitfahrern die Sorgenfalten auf der Stirn verschwinden. Es handelte sich nur um ganz normale Hundertschaftpolizisten und nicht um die BFE. Und siehe da, umso älter die Beamten waren, desto gelassener agierten diese. Warum nicht immer so. Nach Hannover eine weitere positive Erfahrung mit der Staatsmacht, wenngleich es auch zwei Ausnahmen gab.
In Bielefeld war dann erst einmal warten auf den nächsten Regionalexpress angesagt. Nach einer halben Stunde ging es in den bekannten und recht bequemen Doppelstockwagen weiter und so langsam aber sicher erwachten die meisten Zugfahrer aus ihrer Morgenmüdigkeit. Wie schon auf einigen Zugfahrten zuvor konnte sich ein Fan aus dem nördlichen Ruhrgebiet Zutritt zur „Soundanlage“ des Zuges verschaffen. Doch Mitten im ersten Musikwunsch fand dieser auch schon sein abruptes Ende. Schade. Doch auch ohne Musik, dafür mit ausreichend Flüssignahrung entwickelte sich eine recht ausgelassene, aber stets friedliche Stimmung.
Überfüllter Regionalexpress ab Braunschweig
In Braunschweig stand der Anschlusszug bereits auf dem gegenüberliegenden Gleis. Hier konnte man auf beeindruckender Weise den Unterscheid zwischen DB Regio NRW, „DB Niedersachsen ist am Zug“ und der DB Regio Sachsen-Anhalt bewundern. Während der überwiegende Teil der RE-Flotte in NRW und NDS aus modernen und geräumigen Doppelstockwagen besteht, hat man sich in Sachsen-Anhalt für die abgespeckte Variante entschieden. Sprich unsinnige Raumaufteilung, keine Gepäckablagen und wer am Fenster saß dürfte sich das ein oder andere Mal ganz ordentlich den Kopf gestoßen haben. Mit anderen Worten eine reine Fehlkonstruktion. Und wenn dann noch viel zu wenige dieser Fehlkonstruktionen eingesetzt werden, kommt es halt schon mal schnell zu einer hoffnungslosen Überfüllung. Immerhin war das Chaos diesmal offenbar so groß, dass das „Fanradio“ um weiten länger unentdeckt blieben konnte. Aber da weiß die Staatsmacht nebst ziviler Bahnbegleiter bereits im Vorfeld, wann der gemeine Mob ab Dortmund aufbricht, ist aber nicht in der Lage für ausreichendes Fahrtmaterial zu sorgen.
Kurz vor Magdeburg gab es dann noch einen Zwischenstopp in einem kleinen Bahnhof, aber wie gesagt alles im normalen Bereich, sehr angenehm. Der einzige negative Zwischenfall ereignete sich im Bahnhof von Magdeburg, als ein Fan aus dem nördlichen Ruhrgebiet kurzfristig festgenommen wurde, weil er angeblich rechtsradikale Parolen angestimmt haben soll. Sehr schön, dass die Bundespolizei anscheinend endlich aus dem Vorfall in Worms gelernt hat, blöd nur, dass sie ausgerechnet den falschen erwischten, da dieser Fan eher der linken Fraktion zuzuordnen ist. Von daher war dieser auch alles andere als begeistert, dass ihm nun ein Verfahren wegen Volksverhetzung eröffnet wird. Wollen wir mal für ihn hoffen, dass sich der Sachverhalt zu seinen Gunsten aufklären lässt.
Ab Magdeburg ging es dann im gewohnten Komfort weiter gen Osten. Auch hier ein leichtes Gefühl von chronischer Überfüllung, doch im Gegensatz vom Zug davor der reine Luxus. So ging es vorbei an Felder und Wälder, an idyllischen Dörfern, die man so lange idyllisch findet, ehe man selbst dort wohnt, bis man kurz vor ein Uhr den Bahnhof Zoo in der Bundeshauptstadt erreichte.
Und rein ins Olympiastadion
Dort erwartete einem Sommerwetter im April vom allerfeinsten. Zum
Olympiastadion ging es gewohnt mit der S-Bahn gen Spandau und je nach
Geschmack zogen die einen sofort zum Stadion, die anderen machten es
sich in den angrenzenden Biergärten gemütlich.
Im Stadion dann das gewohnte Bild. Eine prall gefüllte Dortmunder Gästekurve, die sich teilweise bis zur Haupttribüne hinzog, sowie auf der anderen Seite des Marathontores noch lange nicht ihr Ende fand. Wenn ich so an die letzten Jahren denke, wo der Oberrang teilweise noch nicht mal zur Hälfte gefüllt war, kann man mittlerweile richtig stolz darauf sein, auch in über 400 km östlich von Dortmund mit einer derartigen Anzahl Fans auftrumpfen zu können. Doch Masse ist leider nicht immer gleich klasse, wie man mehrmals während des Spiels feststellen musste.
Die Dortmunder Kurve zeigte sich gewohnt richtig gut beflaggt. Die große TU-DORTMUND-DES-Zaunfahne wurde auf beiden Seiten von der DES- und Jubos-Auswärtszaunfahne eingerahmt, dazu gab es noch kleine Fahnen wie der Sektion RheinkulTUr, TR’59 (steht für die PLZ 59XXX), der Zaunfahne der Dortmunder Straßenkünstler und der des AKLP. Die Selbstdarsteller mussten daher auf andere Flächen ausweichen.
Als Entschädigung konnten sich dafür einige mit ihren Schwenkfahnen vor der Kurve postieren. Schade, dass man derartige Unsitten nicht einfach mal geschlossen boykottieren kann, denn Fahnen gehören nach wie vor nicht in den Innenraum, sondern in die Kurve. Platz wäre da wohl auch für die doppelte oder dreifache Anzahl, nur machen unsinnige Beschränkungen dieses leider zu Nichte. Immerhin erlaubte Hertha BSC eine begrenzte Anzahl von Doppelhaltern, die zusammen mit vielen kleineren und großen Schwenkern im unteren Drittel des Gästeblocks wie schon in Stuttgart ein richtig gutes Bild abgaben.
Die Heimkurve hält es da traditionell eher mit Schwenkfahnen,
wenngleich auch die Berliner Kurve noch die eine oder andere Fahne
vertragen dürfte. Unterstützt von einem Podest im unteren Teil der Kurve
nebst Soundanlage, die beim letzten Gastspiel noch nicht installiert
war, legte der Heimanhang akustisch gut los. Wirkte optisch auf jeden
Fall sehr ansprechend, wenngleich die Höhepunkte deutlich am Anfang und
nach dem Ausgleich lagen.
Der Gästesektor rockte aber teilweise sehr ordentlich dagegen, so dass viele Gesänge auch in der Heimkurve ankamen. Die Mannschaft trug ihr Übriges zur guten Stimmung bei und ging durch Dortmunds besten Stürmer Alex Frei mit 1:0 in Führung. Totales Ausrasten bestimmte den Gästeblock. Zu hinterfragen gilt es lediglich, warum bestehende Gesänge immer wieder durch Gesänge wie „Unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz“ oder „BVB null neeeuuun“ übersungen werden. Einige Fans sollten sich mal bewusst machen, dass es in Dortmund auch noch andere richtig geile Fangesänge außer diesen beiden gibt. Einfach mal den Melodien lauschen und nach ein oder zwei Wiederholungen selber mit einstimmen. Hat doch zum Schluss mit „Hey das geht ab...“ auch geklappt.
„Hey das geht ab“
A propos „Hey das geht ab“. Hertha Coach Lucien Favre hatte wohl in der Halbzeit die richtigen Worte an sein Team gerichtet, denn nach der Halbzeit spielte nur noch die Heimmannschaft. Weidenfeller zeigte eine Parade nach der anderen, musste sich dann aber Raffael geschlagen geben. Böse Erinnerungen wurden an 2007 wach, als man ebenfalls 1:0 führte und dann böse abstürzte. Die Ostkurve drehte danach gut am Rad und sang in beeindruckender Lautstärke ihre Version von „Hey das geht ab“. Für diese Idee muss man den Berlinern schon Respekt zollen, sehr gute Umsetzung. Ich würde es in etwa mit unserer Version von „Im Wagen vor mir“ vergleichen. Dies sollte dann in unserer Kurve in ähnlicher Lautstärke durchs weite Rund erschallen. Zuvor zeigten die HB’98 aber noch ein Protestspruchband gegen einen möglichen Umzug ins Leipziger Zentralstadion im Rahmen der Frauen WM und die HM’03 gratulierte ihren wilden Freunden aus KA zu ihrem Fünfjährigen. Ganz cool heißt es dann auch hier „.. allet jute Atzen“. Genau in dieses „Atzen“ lief dann Sebastian Kehl zusammen mit Nelson Valdez nach dem erneuten Führungstreffer zum 2:1 hinein. Schon recht lustiger Hintergrund für einen Torjubel. Aber auch danach zog sich der BVB zur Freude der über 10.000 Dortmunder nicht weiter zurück und erspielte sich noch weitere Chancen. Das Ergebnis ist bekannt, Nelson Valdez erhöhte auf das im Vorfeld für nicht möglich gehaltene 3:1 für Schwarzgelb. In der Gästekurve nun die totale Eskalation, ein Großteil feierte da schon den Sieg oberkörperfrei zu „Hey das geht ab, wir versaun‘ euch die Meisterschaft!“
Nach dem Schlusspfiff kamen dann die Spieler in Richtung Kurve, wobei nicht alle den Weg direkt zu den Fans fanden, dem Berliner Graben sei Dank. Während die großen Gruppen noch auf die Fans aufmerksam machten, denen es heute aufgrund unberechtigter Stadionverbote leider vergönnt war das Spiel zu sehen, machte sich ein Großteil schon auf den Weg gen Ausgang.
Zurück mit dem ICE
Während viele Zugfahrer die Heimreise auch wieder mit dem Wochenendticket antraten oder gleich die ganze Nacht noch in Berlin verbrachten (manche Fans gönnten sich gar den Luxus eines Rückfluges am nächsten Morgen zum Schnäppchenpreis), entschied sich eine Reisegruppe von über 50 Dortmundern dank günstigem Gruppenticket für die recht zügige Rückfahrt mit dem ICE gen Bierstadt. So wurden in Spandau noch einmal die Vorräte aufgefüllt und schon sollte die kurzweilige Rückfahrt beginnen, der auch die Spieler unserer magischen Borussia beiwohnen sollten. Im Gegensatz zu dieser reichte es bei uns aber nur für die zweite Klasse. Trotzdem war es schon irgendwie komisch, dass man trotz Gruppen- und Sparticket mal wieder Begleitschutz erhielt. Leider nicht die Einheit der Hinfahrt, sondern eine junge und leider auch recht motivierte Gruppe, die offensichtlich ein Problem hatte, den Samstagabend im Zug zu verbringen. Dass dies nie was Gutes bedeutet, musste ein Mitfahrer recht schnell erfahren. Da er zu oft in den Speisewagen ging um Nachschub an Gerstensaft zu besorgen, machte ihn einer der jungen Wilden darauf aufmerksam, dass ihm sein ständiger Gang durch den Zug nervös mache. Als der Fan ihm darauf erwiderte, dass er ein freier Bürger sei und er wie jeder andere hier im Zug ein normales Ticket erworben habe, drohte der sogenannte Beamte ihm tatsächlich damit, ihn bis Dortmund auf der Toilette einzusperren. Das bittere hieran ist, dass es der Beamte todernst meinte.
Kurz nach zehn Uhr erreichte man bereits die heimische Westfalenmetropole, so schnell wie nie zuvor und hatte während der Fahrt noch die Bedeutung einer gewissen V-Stellung kennengelernt. Vielen Dank noch mal an dieser Stelle für die Aufklärungsarbeit an den Herrn der früher mal am Niederrhein wohnte.