Presse-Polonäse
Eleganter Pass nach links, Dribbling, die Flanke lang in der Luft. Kopfball. Jaaaaaa! Der Ball ist drin! Das Westfalenstadion tobt. Zwei schwatzgelb.de-Mitarbeiter stehen mittendrin, jubeln und reiben sich die schmerzenden Knie. Denn spontanes Aufspringen versuchen die tief angebrachten Tischplatten auf der Pressetribüne zu verhindern. Wer sich nicht daran hält, wird mit blauen Flecken gestraft.
Die Medienkollegen drum herum sind sitzen geblieben. Ein paar lächeln und legen fast unbemerkt eine „Hab ich's doch gewusst“-Miene auf, der Großteil jedoch bearbeitet stoisch seine tragbaren Computer. Uns reichen erst einmal ein paar entspannte Notizen im Laptop, wir wollen eine andere Art Spielbericht verfassen.
Während das Stadion uns den Namen des Torschützen entgegenschreit, läuft auf dem kleinen Monitor des Radio-Menschen der Treffer zum dritten Mal in Zeitlupe. Der bekannte Sportkommentator spricht seelenruhig ins Mikrofon. Den Gedanken, ihm „Scheiß S 04" in seine Livereportage zu rufen, verschiebe ich wie immer auf das nächste Heimspiel.
Der BVB ermöglicht schwatzgelb.de, die Spiele in Dortmund von der Pressetribüne aus zu verfolgen. Innerhalb der Redaktion sind diese Plätze nicht unumstritten. Die einen schätzen die professionellen Arbeitsbedingungen. Die anderen finden es befremdlich, bei emotionsgeladenen Partien inmitten von coolen Männern zu sitzen, die nicht schimpfen, nicht jubeln und sich nicht die Knie stoßen.
Schon wenn vor Anpfiff im Presseraum hektisch das kleine Buffet geplündert wird, Handys an Ohren kleben und Praktikanten TV-Ausrüstungen umherschleppen, ist klar: Die Menschen sind nicht zum Vergnügen hier. BVB-Fans sind unter ihnen die Ausnahme. Was nicht heißt, dass die Themen andere als auf der Südtribüne sind. In der Ecke diskutiert der Rundfunk-Mann mit dem Boulevardjournalisten, was am neuesten Transfergerücht dran ist, das dessen Zeitung gestreut hat. „Fehleinkauf“, ist vom Tisch daneben zu hören. Geschnetzeltes vom Buffet kauend bewerten zwei Schnurrbartträger die gerade veröffentlichte Mannschaftsaufstellung. Die Fans wissen da noch nicht, wer für den BVB gleich auflaufen wird.
Durch die breite Glasfront des Presseraumes sehe ich, wie sich das Stadion füllt. Die gelbe Wand steht schon massiv, Fahnen wehen, Fans hüpfen und klatschen. Doch alles wirkt unecht, denn ich höre nichts. Wie sehr das dicke Glas den Schall dämpft, wird erst deutlich, als jemand die Tür öffnet: Plötzlich schwappt sie geräuschvoll herein, die gewohnte Atmosphäre. Der Rest eines Gesangs, Trommelschläge, und überall Gemurmel. Den Journalisten ist nicht anzumerken, ob sie das alles noch beeindruckt.
Die Südtribüne ist riesig. Wer sonst immer nur ein Teil von ihr ist, vergisst das manchmal. Spätestens auf unseren grauen Presse-Sitzplätzen erinnern wir uns daran. Der freie Journalist neben uns nickt zur Begrüßung. Er hat seinen Spielbericht schon fertig. 3:0 siegt Borussia bei ihm, auch wenn der Text noch ein paar Lücken aufweist. Der Ball rollt, ich tippe die ersten Stichworte: Was stand auf dem Spruchband? Wie viele Gästefans sind wohl da? Lässt die Aufstellung schon Rückschlüsse auf eine geänderte Taktik zu?
Im Block vor den Presseschreibtischen springen alle auf, fuchteln mit den Armen, fluchen. „Niemals Abseits!“ Ich habe gerade auf den Laptop geschaut. „Niemals!“, ruft mein Mitstreiter. Ich lehne mich etwas nach hinten, um die Wiederholung der Szene auf dem Monitor des Webradio-Kommentators zu sehen. Ein lokaler Sportjournalist ist bereits dorthin geeilt. „Niemals“, sagt er ruhig.
Während ich tippe, kritzelt der zweite schwatzgelb.de-Vertreter Bemerkungen hinter die Namen der Spieler auf dem Zettel mit der Aufstellung. Hier Plus-, da Minuszeichen. Später, im Spielbericht, werden daraus zusammen mit dem Bauchgefühl die Noten.
45 Minuten sind viel kürzer, wenn man zwischendurch schreibt. Die Mannschaften gehen in die Kabine. Der schwatzgelb.de-Fotograf nimmt am Spielfeldrand den Kopf hinter seiner Kamera hervor. Die Trainer schwören die Teams auf die zweite Halbzeit ein, die Fotojournalisten entspannen ihre Augen. Wir diskutieren schon mal Formulierungen.
Tor, Gegentor, Abpfiff. Der Journalist mit dem 3:0 hat fix ein 1:1 daraus gemacht und sich längst verabschiedet. Ich stehe in der so genannten Mixedzone. Hier sind allenfalls die Gefühle gemischt. Denn Spieler haben sich noch nicht zu den Journalisten gesellt, die hinter dem Absperrband auf sie warten. Die Wände sind gelb und mit den Logos von Sponsoren beklebt. Auf dem Boden zwischen der Treppe, die vom Spielfeld hochführt, und den Kabinen liegen Grashalme und Erdbrocken. Etwas missmutig treten die Pressevertreter auf der Stelle. Die Laune wird nicht besser, als ein öffentlich-rechtliches Kamerateam sich nach vorne in die erste Reihe rempelt.
Die Gastmannschaft ist schon fast unbemerkt in ihren Bus entschwunden, als die ersten Borussen in den Gang treten. Mit dem Mobiltelefon am Ohr laufen sie seelenruhig und wie in einer Polonäse an den Wartenden vorbei. Oben im Presseraum hat schon die Pressekonferenz mit den beiden Trainern begonnen. Parallel erhält dort unser Spielbericht seinen letzten Schliff. In der Mixedzone erbarmen sich dann noch ein paar Ersatzspieler und der Torschütze. Das dominante TV-Trio gibt die Fragen vor, der Rest schreibt nur mit.
Eine Stunde später geht der Spielbericht bei schwatzgelb.de online, nachdem wir wie immer zunächst die Technik besiegen mussten. Die aktuellen Bilder sind schon drin. Der erste User schreibt im Forum: „Eure Noten sind ja wohl ein Witz.“
Felix Ehlert, 01.01.09