Eua Senf

1987 BVB-HSV - Peitschender Regen und Feuer unter dem Dach

31.12.2006, 00:00 Uhr von:  Gastautor

Es war ein verregneter Maitag im Jahr 1987. Borussia Dortmund hatte den Hamburger SV zu Gast. Die Auftritte des BVB in dieser Saison waren angesichts der Tatsache, dass wir ein Jahr zuvor beinahe abgestiegen wären, erstaunlich gefestigt. Gegen Mittag überlegte ich noch in der Schule, ob ich mir das Heimspiel gegen Hamburg ansehen sollte, alleine wollte ich nicht hin. Doch sämtliche Kumpels gingen mit, denn der BVB spielte ja oben mit, hatte die Chance auf einen UEFA-Cup-Platz! Also ab in die Strassenbahn und auf nach Dortmund.

Bereits vor dem Stadion habe ich gespürt, dass dieser Freitag Abend etwas ganz besonderes sein würde. Aufgrund des miesen Wetters war das Stadion zwar nicht ausverkauft, doch mit geschätzten 45.000 Zuschauern war das Westfalenstadion dennoch gut gefüllt. Der Tabellenzweite aus Hamburg wurde freundlich begrüsst, eine leichte Fanfreundschaft gab es zu diesen Zeiten. Man respektierte sich, ging sich aber dennoch grösstenteils aus dem Weg. Dortmund hatte in dieser Saison die ideale Kombination im Sturm gefunden. Mit dem quirligen und dribbelstarken Frank Mill, dem pfeilschnellen Daniel Simmes und dem eher schlaksigen, jedoch so oft richtig stehenden Norbert Dickel hatte der BVB einen torgefährlichen Sturm aufzubieten.

Im Tor hielt in dieser Spielzeit erstmals Teddy de Beer den Kasten sauber, ein junger Torwart, der speziell in Eins-zu-Eins Situationen zwar noch Schwächen hatte, jedoch den Strafraum bereits prima beherrschte und auf der Linie zu glänzen wusste. Der Kerl hatte das Herz in beiden Händen und sprang dem Ball ohne Furcht entgegen. Rasch hatte ihn die Südtribüne zum Publikumsliebling erkoren. Mit Pagelsdorf, Kutowski, Hupe und Storck war die Defensive gut besetzt. Das Mittelfeld bildeten zu dieser Zeit der zweikampfstarke Helmer, Lusch, Raducanu und Zorc. Da es kaum Verletzungen gab, brauchte Trainer Reinhard Saftig kaum umstellen. Die Südtribüne in Dortmund war zwar voll, doch da wir früh hingefahren waren, bekamen wir noch Plätze im unteren Bereich direkt hinter dem Tor. Dortmund gewann die Platzwahl und so musste der HSV zunächst in Richtung der Südtribüne spielen. Teddy wurde lautstark angefeuert und der Regen peitschte bereits mächtig ins Stadion herein. Teddy de Beer hing sein Handtuch ins Tornetz, winkte den Fans freundlich zu, ruderte mit den Armen und machte sich bereit für ein aussergewöhnliches Spiel.

Auch an diesem Tag lief die Stammelf des BVB auf. Hamburg hatte in dieser Saison so wohlklingende Namen wie Beiersdorfer, Jakobs, Stein, Kaltz und auch einen gewissen Thomas von Heesen an Bord. Und eben dieser von Heesen setzte sich nach gut einer Viertelstunde durch, bekam den Ball mustergültig zugespielt und liess sich einfach fallen, eine klar zu erkennende Schwalbe! Wir konnten die Szene gut beobachten direkt hinter dem Tor. Und was macht Schiedsrichter Brückner? Er pfeift Elfmeter für den HSV! Unglaublich! De Beer läuft aufgebracht zum Schiedsrichter, baut sich bedrohlich nah vor ihm auf und kassiert prompt die gelbe Karte. Die Südtribüne dreht halb durch, ein gellendes Pfeifkonzert dröhnt in meinen Ohren. Manfred Kaltz läst dies aber absolut kalt, er haut den Ball zum 0-1 in die Maschen. De Beer dreht sich wütend in unsere Richtung um und fordert uns auf, jetzt richtig Druck zu machen. Die Fans lassen sich nicht lange bitten und brüllen was das Zeug hält „Borussia! Borussia!“.

Der BVB mit wütenden Angriffen nun, Dickel wird mustergültig hoch angespielt, doch sein Kopfball endet am Pfosten. Frank Mill will den Abstauber einnetzen, wird aber umgerempelt. Elfmeter nun auch für den BVB! „Susi! Susi!“, dröhnt es von über 40.000 Kehlen. Michael Zorc zimmert den Ball – wie so häufig – in die linke Torecke. Jubel brandet auf, das 1-1 lässt zur Halbzeit Hoffnungen wach werden im Kampf um den UEFA-Cup Platz. Nach der Pause wird der Regen noch stärker, der Ball lässt bereits heftig Wasser aufspritzen beim Rasenkontakt. Mittlerweile bin ich total durchnässt, der Wind treibt den Regen voll in die Südtribüne hinein, doch den Fans ist das egal, sie bekommen ein aufregendes Spiel zu sehen. Borussia drängt den HSV in die eigene Hälfte, erspielt sich zahlreiche Gelegenheiten. Doch ein Konter des HSV wird von Kastl verwertet, 1-2 für den HSV! Was ab jetzt kam, hat mich lange beschäftigt, kein anderes Bundesligaspiel habe ich in einer solchen Euphorie des Stadions verfolgt. Anstoss, weiter Ball nach vorne von Simmes, Dickel verlängert den Ball auf Zorc und er lässt Uli Stein aus sieben Metern keine Chance, der viel umjubelte Ausgleich! Anstoss für Hamburg, nur wenige Augenblicke später wieder ein Angriff des BVB, Flanke von Raducanu und Daniel Simmes lässt den Hamburger Keeper keine Abwehrmöglichkeit! 3-2, das Spiel war gedreht und die Südtribüne wurde zum Tollhaus!

Aber wir hatten die Rechnung ohne den Hamburger SV gemacht. Erneut Manfred Kastl haut den Ball zum Ausgleich in die Maschen! „Heja, Heja BVB!“ lassen die Fans direkt nach dem Ausgleich erschallen, die Unterstützung war enorm. Ich recke meine Hände zum Himmel, bete zum Fussballgott, dass er uns noch ein Tor schenken soll, wir haben es in dieser Saison einfach verdient in den UEFA-Cup einzuziehen, die Mannschaft bot doch so tollen Fussball! Die Leidenschaft der Fans war unbändig, kaum zu bremsen. Ein Feuerwerk der Anfeuerung trieb die Mannschaft nach vorne. Und das Team griff es auf, fordert die Fans sogar bei den Standardsituationen zu noch mehr Unterstützung auf! Ich war bereits komplett heiser, bevor ich einen langen Abschlag von de Beer bei Michael Zorc landen sah. Ein Querpass zum jungen Thomas Helmer und der Mittelfeldstratege sieht Keser starten. Ein Heber über Stein lässt das Westfalenstadion beben und meine Stimme versagt endgültig! 4-3, der blanke Wahnsinn! Auf mir liegen plötzlich sechs oder sieben andere Zuschauer, die komplette Tribüne scheint mehr zu liegen, als zu stehen.

De Beer kniet im nassem Rasen, ballt die Fäuste und jubelt wie ein Besessener. Der Vorsprung wird irgendwie über die Zeit gerettet, ich erinnere mich noch, wie Helmer den Ball mehrfach auf die Tribüne gedonnert hat und das Stadion jubelte bei jedem Befreiungsschlag! Die Truppe von Ernst Happel drängte zwar auf den Ausgleich, doch de Beer liess keinen Treffer mehr zu, parierte mehrfach grossartig und warf sich den Stürmern mutig entgegen! Beim Abpfiff rennen Helmer, Hupe, Storck und Anderbrügge auf den jungen Torwart zu, begraben ihn im Jubel unter sich. Der BVB hatte soeben den dritten Tabellenplatz erobert am neunundzwanzigsten Spieltag, der UEFA-Cup Platz war nun tatsächlich realisierbar! Mit halb zurückgekehrter Stimme brülle ich wie besessen „Dortmund im UEFA-Cup! Dortmund im UEFA Cup!“ und der Rest der Tribüne stimmt voller Inbrunst mit ein, ein tolles Gefühl, Gänsehaut auf meinen Armen.

In den Jahren danach habe ich viele schöne Spiele erlebt, doch das erste Spiel, welches mich in eine derartige Euphorie versetzten konnte, dass ich tagelang an nichts anderes denken konnte, war dieses verregnete Kampfspiel im Jahr 1987. Danke an dieser Stelle an die Mannschaft von 1987, ihr habt mir damals viel gegeben. Wann immer der Regen wieder in unser Stadion peitscht, denke ich gerne an diese Zeit zurück und hoffe inständig, dass die gleiche Leidenschaft noch einmal zwischen Fans und der Mannschaft entbrennt. Lass es bitte gegen die Bayern im Januar regnen…

Die Spielstatistik

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Daher unsere Frage an Euch: Gibt es Spiele aus der Vergangenheit die bei Euch besonders in Erinnerung geblieben sind und über die hier noch nicht berichtet wurde?

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Abgesehen von einer Veröffentlichung hier auf schwatzgelb.de würden wir Euren Bericht auch in unsere Spieledatenbank einbinden.

Schreibt an: redaktion@schwatzgelb.de

Geschrieben von Markus Grunow

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