Zurücklehnen, Händchenhalten und Genießen
Andreas Rickmann ist den aufmerksamen schwatzgelb.de Lesern kein Unbekannter. Bereits vor dem Abstieg der Kölner veröffentlichten wir seinen Spielbericht bei uns. 1.FC KÖLN - BORUSSIA DORTMUND Wo selbst Männer Phantasie haben: Das pralle Fußball-Leben zwischen Wahn und Wirklichkeit.
COLONIA - Nicht schon wieder. Da stand uns zum vierten Spieltag also abermalig ein Match derjenigen Sorte auf dem Programm, dem man seit nunmehr fünf Jahren mit ohnmächtiger Skepsis entgegensieht: Seit Ewigkeiten war der FC nicht mehr in der Lage gegen ein Spitzenteam zu gewinnen. Ob Dortmund, Bayern, Leverkusen oder - natürlich - Schalke, das jegliche Klischeegefühle erst wenige Tage vor dem Spiel gegen Borussia Dortmund mit einer abgründigen Brutalität bestätigte. Der Fall war hoffnungslos und das seit Jahren. Zwar deuteten die vorherigen FC-Leistungen der Saison 2003/2004 dezent an, dass ein Ausbruch aus dem Radius des Bannes der Erfolglosigkeit im Bereich des Möglichen liegen könnte, ernsthaft war gegen Borussia Dortmund aber kaum auf eine Teilgenesung zu hoffen.
Es blieb einem nichts, als dem Spieltag mit einer großen Prise Fatalismus entgegenzusehen. Zur neuen Saison hat sich in Köln einiges geändert: Im Südbereich wurden die alten Kassenhäuschen ohne einen Anflug von Sentimentalität abgerissen und durch lieblose Container ersetzt, das Terrain innerhalb des Stadions ist mittlerweile relativ eingeengt und wer einmal sein Bedürfnis verrichten möchte, sich dabei im Süden aufhält, allerdings eine Karte für den Norden hat, der ist entweder ziemlich arm dran, oder muss recht unkonventionelle Methoden ergreifen. Die Inhalte des Geißbock Echos präsentieren sich im Vergleich zum Vorjahr wesentlich bemühter, und mittlerweile ist sogar Michael Trippels Co-Sprecher der letzten Saison durch eine andere Radiostimme abgelöst. Bleibt zu hoffen, dass ihr bewusst ist, in einem Fußballstadion und keiner Unterhaltungsshow zu sitzen.
Die ersten Minuten nach Spielbeginn ließen unsanft erahnen, in welche Richtung der Hase an diesem Nachmittag nur allzu leicht hoppeln konnte. Der starke Beginn der Gäste vertiefte die Furchen der Sorgenfalten auf Kölner Seite zunehmend. Zur allgemeinen Verwunderung aber bestand ab der 20. Minute vermehrt Anlass, sich über vergebene FC-Chancen an den Kopf zu fassen, anstatt mit Andreas Wessels zu zittern, der in seinem neuen Torwartkostüm einem Verkehrsregler ähnlicher sah, als einem Bundesligakeeper. Etwa fünf bis sechstausend Gästefans waren an diesem Nachmittag in Müngersdorf anwesend. Kein Vergleich zu den Zahlen der neunziger Jahre, was aber eher mit der momentanen Stadionsituation zusammenhängen dürfte. Die aktiven Dortmunder Stehplatzbesucher machten das einzig Richtige, und platzierten sich innerhalb des Gästeblocks nicht auf den untersten Stufen - hier lauerte der Sicherheitsdienst nur darauf, die Jungs vom Zaun zu holen - sondern mittig im Block. Während des gesamten Spiels war in diesem Bereich eine rege Aktivität zu beobachten, an der sich die Gäste-Sitzplätze allerdings nicht so recht beteiligen wollten.
Liebend gerne wäre ich in der Halbzeitpause nach Hause gefahren, hätte mich irgendwo in die Natur gelegt, die schöne Welt genossen und an alles erdenklich Angenehme gedacht, nur bitte nicht den Druck dieses fürchterlichen Fußballspiels. Diese unheimliche Befürchtung wieder durch das Schalker-Schicksal ausgeknockt zu werden erschien mir als zu viel an diesem Tag. Zu spät - längst hatte mich der FC mal wieder gefangen, unfähig noch etwas am Ist-Zustand zu ändern. Da musste man nun durch, 45 Minuten lang, mit dem Herz in der Hose, zittrigen Händen und einem Gefühl im Bauch, dass zwischen Übelkeit und Verliebt-Sein pendelte.
Und tatsächlich, wenige Minuten nach Beginn der zweiten Hälfte trat der Fall ein, den man sich zuvor in Gedanken nicht getraut hatte auszumalen: Der ausgefuchste Führungstreffer von Dirk Lottner ließ in Art und Zeitpunkt allerdings kaum etwas Gutes erahnen. Nach dem Tor demonstrierte das Kölner Publikum, dass es ihm keineswegs an nötiger Begeisterungsfähigkeit mangelte. Mit zunehmender Dauer der Begegnung vertieften sich in Köln Müngersdorf einzelne Faktoren, die zusammengefasst ein ganz hervorragendes Gemisch ergeben konnten: Leidenschaft, die sich von den Zuschauern auf die Spieler übertrug und die laut Matthias Sammer typische Dortmunder Krankheit ergänzten sich ganz prima ? zumindest im Sinne der Kölner.
Es folgten schlimme dreißig Minuten. Ich war begeistert und schockiert zugleich, bei vibrierender Brust und erstarrtem Geist tickte die Zeit herunter. Jeder vom FC nur irgendwie nach vorne gepreschte Ball oder gewonnene Zweikampf wurde während Schlussphase energisch bejubelt. Um 17.06 Uhr ließen die Zuschauer den Gegner wissen, was man von ihnen zu halten habe: Wir sind nur ein Karnevals- verein.
Nach dem Schlusspfiff brauchte es einige Minuten, bis die Anspannung abebbte und sich mit zunehmender Realisierung des Geschehenen ein Glücksgefühl ausbreitete. Wenn sogar Friedhelm Funkel sich nach Spielende dazu entschließt, in seiner mittlerweile anderthalb Jahre währenden Amtszeit eine erste Geste Richtung Süden vorzunehmen, - er wellierte mit den Spielern vor den Fans - dann musste tatsächlich etwas Außergewöhnliches passiert sein. Zeitpunkt und Art des Sieges begeisterten mit unglaublicher Wucht. Wurden gewonnene Heimspiele gegen Burghausen, Oberhausen oder Fürth im letzten Jahr zwar erfreut registriert, aber nicht unbedingt ausgiebig gefeiert, so ziehen mögliche Siege in der höchsten deutschen Klasse das Publikum in einen ganz anderen Bann. Der FC ist wieder in der Bundesliga angekommen und irgendwie bin ich doch ganz froh, dabei zu sein.
(c) by www.fcbuch.de
Geschrieben von Andreas Rickmann
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