PRO 15:30 – Kein Kick ohne Fans
Vor knapp einem Jahr protestierten erstmals in der Geschichte des deutschen Fußballs in allen Stadien die Fans. Es ging einzig um die Spielansetzungen der DFL. Vor allem der Sonntag-Termin war, ist und bleibt vielen Fußballfans ein großer Dorn im Auge. Mit Spruchbändern, Flugblättern und Gesängen machten die Fans auf sich aufmerksam. Die Presse nahm das Thema schnell auf und bald sah sich die Bundesliga und vor allem Premiere in die Enge getrieben. Der Befreiungsschlag sollte folgen: die Sprecher der Initiative wurden nach Frankfurt geladen und dort gab es die ersten Versprechungen:
- Sonntagsspiele nur noch bei vorherigen UEFA-Cup-Spielen (da ist eine andere Lösung ohne Hilfe der UEFA ja nicht möglich)
- Weitere Sonntagspiele nur mit Kilometerbegrenzung (die beteiligten Vereine durften nicht weiter als 300km auseinander liegen)
- Verlegung des Montags-Spiel der zweiten Liga von Montag auf Freitag wurde angedacht
Geblieben ist am Ende davon leider wenig bis überhaupt nichts. Der ungeliebte Sonntag ist geblieben, er gilt weiterhin nicht als Ausweichtermin für UEFA-Cup-Teilnehmer sondern als genereller Spieltag. Erinnern wir uns, daß Borussia gleich zu Beginn der Rückrunde Sonntag abends gegen Hertha BSC Berlin antreten mußte. Es fand zuvor weder ein UEFA-Cup-Spiel statt, noch wurden die 300km eingehalten. Am Ende wurde der Polizei der schwarze Peter zugeschoben, die ein Spiel weniger im Westen am Samstag-nachmittag gewünscht hatte. Warum das – bei weitaus höherem Konfliktpotential wegen der höheren Anzahl Westvereine (Düsseldorf, Köln, Duisburg, Uerdingen, Leverkusen, Mönchengladbach, Bochum, Wattenscheid, Schalke und Dortmund in einer Liga) und noch weiter verbreitetem Hooliganismus – vor 10 Jahren noch möglich war, bleibt ein Rätsel. Die Vereine haben alle auf die Karte TV und hier speziell auf Kirch gesetzt, als noch niemand etwas von finanziellen Problemen Kirchs hören wollte. Doch auch schon damals war er und sein Unternehmen hoch verschuldet, einzig politische Seilschaften mit allen Parteien scheinen ihn auch heute noch am Leben zu halten.
Doch was passiert, wenn die Seifenblase „TV-Millionen“ irgendwann doch zerplatzt, weil z.B. halbleere Stadien (Bayern-Wolfsburg im Pokal bspw.) eben auch am TV weniger attraktiv wirken? Die Manager hatten auch vor 10 Jahren noch geglaubt, daß mit Merchandising riesige Gewinne erwirtschaftet werden könnten. Doch was ist heute daraus geworden? Nur wenige Vereine verdienen Geld mit Tassen, Socken und Stramplern mit Vereinsemblem, der Rest guckt in die Röhre. Können und sollen wir als Dortmunder es uns wünschen, daß die Liga sich irgendwann an der Pille „Premiere“ verschluckt und wir plus 2-4 andere Vereine überleben? Ist es das, was wir wollen? Eine Liga wie in den Niederlanden wäre irgendwann die Folge. Die Spitzenmannschaften machen alle Siege unter sich aus, der Rest ist Kanonenfutter, schon heute sind wir davon nicht mehr weit entfernt. Es kann nicht sein, daß Anstoßzeiten wie 20:45 Uhr in der Championsleague Besuche von diesen Spielen für viele Menschen fast unmöglich machen und dem Fußball der Nachwuchs fehlt, weil er um diese Zeit eben nicht mehr im Stadion oder vor dem Fernseher sitzt. Der Sonntag als genereller Spieltag schafft ähnliches: Hobbyfußballer verzichten entweder auf ihr eigenes Spiel oder auf das Bundesligaspiel, langfristig kann auch das keine sinnvolle Investition sein. Der Sonntag darf nur dann Spieltag sein, wenn es unausweichlich ist, weil der UEFA-Cup vielleicht immer noch Donnerstags stattfindet. Und die Termin-Bestimmung? Es kann weiterhin nicht sein, daß viele Fans (auch in der 2. Liga) ihre Termine erst 2 Wochen vor Anpfiff erfahren. Eine Planung dieser Fahrten zu Auswärtsspielen ist fast unmöglich geworden.
Und die zweite Liga? Die gerät immer mehr in Vergessenheit, das DSF diktiert das Montagsspiel (dafür bezahlen sie ja auch) und wäre dem Vernehmen nach sogar mit einer Verlegung auf den Freitag einverstanden gewesen. Doch was passiert? Die kleinen Vereine wie bspw. Schweinfurt, Mainz und Reutlingen sprechen sich auf der Managertagung der 2. Liga dagegen aus. Gerade für sie hätten das Mindereinnahmen bedeutet, denn Freitags sehen mutmaßlich weniger Menschen zu, die Kürzung der TV-Gelder alleine war hinnehmbar, aber „Bäckerei Müller“ auf der Werbebande hätte weniger gezahlt. Beides zusammen schien für diese Vereine – die das in der Öffentlichkeit übrigens bestreiten – zuviel.
Und nun verkündet der Kicker in seiner heutigen Ausgabe, daß man Montags 2 Spiele austragen möchte. Dazu fällt einem bald nicht mehr viel ein.
So jedoch schaufeln sich die
Vereine irgendwann selbst das Grab, sie sägen am Ast, auf dem sie sitzen. Ohne
uns Fans wäre der Fußball nichts, erst wir Fans machen Fußball zum Ereignis, das
Spiel zum Kick.
Geht es nur noch um „15:30“?
Doch schon bei den ersten Protesten im Frühjahr 2001 orakelten Manager wie Michael Meier, daß da doch noch was ganz anderes hinterstecken würde. Und richtig, inzwischen geht es längst nicht mehr nur um die leidigen Anstoßzeiten.
Eigentlich ist es so einzuordnen, daß die Sonntagstermine der Tropfen waren, der das Faß zum überlaufen brachte. Was durften sich Fußballfans doch in der Vergangenheit anhören: längst seien sie nicht mehr wichtig für die Kalkulation, TV-Gelder bringen viel mehr Geld. Und in den Stadien wird man auch immer seltener so behandelt, als sei man willkommen. Sind wir doch nur der billige Stehplatzpöbel, der eher der Marketinggag des jeweiligen Vereins zu sein scheint. Auch hier bekommt man es immer wieder unter die Nase gerieben, Geld bringen die V.I.P.‘s, der Rest kostet mehr, als er einbringt. Und um die Kosten gering zu halten, soll man auch kein Konfetti mehr mitbringen, die Reinigung kostet ja schließlich Unsummen. Das das Stadiongelände nach jedem Spiel übersät ist mit unnützen Werbeblättern, spielt keine Rolle.
Macht man sich gar die Mühe, eine Fahne oder schlimmstenfalls einen Doppelhalter zu basteln, gibt man sich erst Recht in Gefahr. Oftmals werden diese klassischen Fan-Utensilien einfach abgenommen und ohne Quittung irgendwo abgelegt. Überall in Deutschlands Stadien sind auf diesem Wege schon Fahnen und anderes Material abhanden gekommen. Selbst Häftlingen werden am Ende ihrer Haft ihre persönlichen Dinge wieder ausgehändigt. Haben Fußballfans weniger Rechte?
Eine einheitliche Bestimmung von Ver- oder Geboten gibt es nicht, jeder Sicherheitsdienst legt das für „sein“ Stadion selbst fest. Verhältnisse wie im Leverkusener, Wolfsburger oder Dortmunder Gästebereich, wo einem beinahe alles abgenommen wird, zählen zweifellos noch zum extremsten in der Liga.
Warum das ganze? Weil es Fans gibt, die gerne zündeln, um es verharmlost auszudrücken. Und wegen dieser – äußerst kleinen Gruppe – werden alle Fans bestraft, alle werden so behandelt, als wären sie potentielle Straftäter. Die Unschuldsvermutung ist außer Kraft gesetzt. Niemand hat etwas gegen Durchsuchungen und ein gewisses Maß an Sicherheit auszusetzen, aber die jetzigen Verhältnisse in manch deutschem Stadion werden nicht einmal von der Flughafensicherheit in den Schatten gestellt.
Schuhe ausziehen und mit Socken auf dem kalten Beton, sicherlich gibt es schlimmeres, aber wo bleibt eigentlich unsere Würde als Mensch? Ein Strafgefangener könnte gegen solche Verhaltensweisen seiner Wärter vorgehen, Fußballfans haben jedoch keine Lobby, obwohl sie die wohl größte Wählerschicht stellen.
Hooligan- oder Fankartei?
Und dann gibt es da noch die ZIS, die „Zentrale Informationsstelle Sport“, die ursprünglich einmal eine Hooligankartei (Kartei Gewalttäter Sport) angelegt hatte, um diesen die Ausreise zu erschweren, bzw. ganz zu verhindern. Heute stehen knapp 8.000 Menschen in dieser Kartei. 8.000 Hooligans in Deutschland? Wohl kaum, vielmehr steht dort beinahe jeder, dessen Personalien einmal in einem Fußballstadion oder dessen Umfeld aufgenommen wurden. Hier ein paar Beispiele:
- Ein Fan wird Zeuge einer Schlägerei und gibt seine Personalien bei der Polizei an, bei der Ausreise zur EM 2000 nach Belgien wird er zurückgeschickt. „Er wisse schon warum....“, wegen der Zeugenaussage steht er nun in der Kartei „Gewalttäter Sport“ (aus der letzten Ausgabe „11 Freunde“).
- Ein Fan steht in der Nähe einer Rauchbombe, wird grundlos verhaftet, erhält 2 Jahre Stadionverbot und ebenfalls eine Eintragung in die Kartei.
Normalerweise sollte der Übeltäter nach 5 Jahren gestrichen werden, es sei denn, er ist weiterhin auffällig geworden. Doch offensichtlich ist auch dies nur selten der Fall.
Stadionverbote treffen immer die „Richtigen“?
Womit wir auch schon beim Thema Stadionverbote wären. Was bedeutet das eigentlich? Zunächst einmal kann ein Verein scheinbar willkürlich ein Stadionverbot aussprechen, was in der Praxis eigentlich nicht vorkommen sollte. Dieses Stadionverbot gilt nach Vereinbarung der Vereine bundesweit für die 1., 2. Liga und Regionalliga.
Doch auch hier greift die Willkür um sich. Von etlichen Fällen wird berichtet, in denen Personen Stadionverbot erhalten haben, weil sie in der Nähe eines bengalischen Feuers, Rauchpulver oder anderem gestanden haben.
Für Aufsehen sorgte daher der sogenannte Nitschmann-Fall aus dem vergangenen Jahr. Dabei war ein Fan von Borussia Mönchengladbach festgenommen worden, weil er in der Nähe des Stadions von Alemannia Aachen mit dem Handy in den Büschen stand und telefonierte. Im wurde dann vorgeworfen, eine Verabredung zu einer Schlägerei getroffen zu haben, ohne das ihm dies bewiesen werden konnte. Er zählte weder zur Hooligan-Szene in Mönchengladbach, noch hatte die Polizei schlagkräftige Beweise. Und trotzdem erhielt er daraufhin von Alemannia Aachen ein zweijähriges, bundesweites Stadionverbot. Mit Hilfe des Fanprojekts Mönchengladbach e.V. – das kein Fanprojekt im pädagogischen Sinne ist, sondern im Grunde eine Art Dachverband der Fans in MG – ging er nun gerichtlich gegen dieses Stadionverbot vor. Bislang war man immer davon ausgegangen, daß Fußballspiele private Veranstaltungen sind und Stadionverbote daher willkürlich ausgesprochen werden können. Doch im Spätsommer letzten Jahres erklärte das Gericht in Aachen diese Praxis für rechtswidrig. Das Stadionverbot wurde aufgehoben. Doch leider legte weder Alemannia Aachen, noch die DFL Einspruch gegen dieses Urteil ein, dadurch kann es nicht als Präzedenzfall herhalten, die gerichtliche Ebene hierfür noch zu niedrig war. Die Unterlegenen werden schon gewußt haben, warum sie keinen Einspruch einlegten, ein echter Präzedenzfall hätte die Stadionverbot-Praxis in Deutschland auf den Kopf gestellt. Also bleibt im Grunde genommen alles beim alten, solange sich niemand sonst gegen sein eigenes Stadionverbot zur Wehr setzt. Die „Koordinierungsstelle Fanprojekte“ in Frankfurt/Main hat eigens für diesen Zweck einen Fonds gegründet und wartet auf einen Klagewilligen, man will endlich Rechtssicherheit schaffen.
Ein paar Beispiele gefällig? Beim letzten Spiel in Gelsenkirchen gab es mehrere Fälle:
- Vor dem Einlaß wurde ein weiblicher Fan des BVB von einem ebenfalls weiblichen Fan des S04 mit einer Fahnenstange geschlagen, der einschreitende Ordner schlug seinerseits die Dortmunder Anhängerin zu Boden.
- Ein Mitglied des BVB-Fanclubs „Goldener Oktober“ (ein Fanclub, der nicht im Verdacht steht, in irgendeiner Weise gewalttätig zu sein) wird von einem Ordner zu Boden geworfen und von diesem später angezeigt, er erhält plötzlich einen Strafbefehl über 1.500 EURO. Weder ihm noch den Zeugen ist bewußt, wofür er diesen erhält.
- Ein Dortmunder Anhänger läuft nach dem Spiel zu Fuß durch die Innenstadt in Gelsenkirchen, als er plötzlich von einer Gruppe Schalker angegriffen und mit Bierdosen beworfen wird. Er macht einen Fehler und wirft eine Coladose zurück. Er wird verhaftet, die Schalker laufen gelassen, ihm droht nun ein Stadionverbot (obwohl das Ereignis fernab vom Stadion stattfand) und ein Strafbefehl.
Es kann also inzwischen wirklich JEDEN von uns treffen, man muß gar nicht erst einer x-beliebigen Fangruppe angehören.
Warum also überhaupt noch ins Stadion gehen? Weil wir diejenigen sind, die ihren Verein, ihren Sport lieben, ihn nicht gebrauchen, um Geld zu verdienen oder ins rechte Licht zu rücken. Diese Liebe ihrer Anhänger ist es, die die Klubs zu dem gemacht hat, was sie heute sind, das Geld fließt erst seit einigen Jahren in solchen Dimensionen, es kann schnell versiegen. Gleiches gilt aber auch irgendwann für die Geduld der Fans, wenn ihre Wünsche, Nöte und Sorgen weiterhin so mit Füßen getreten werden.
Aus all den Versprechungen des letzten Sommers ist nun also nichts geworden, der Fan durfte nicht mitreden, nach Möglichkeit sollte er in Zukunft auch das mitdenken unterlassen. Eintritt zahlen, Trikot kaufen, hinsetzen, Klappe halten, das ist der scheinbare Idealtypus des Fußballfans. Doch wehe, der Fußball gerät wieder in eine Krise, dann braucht er genau die Fans, die er jetzt am liebsten los wäre. All die Verrückten, die sich Woche für Woche aufmachen, um ihr Team zu unterstützen, die sich tagtäglich Gedanken um ihren Verein machen, ohne die ging es nie und wird es auch in Zukunft nicht gehen.
Ein Beispiel dazu: der Karlsruher SC steht seit vergangener Woche kurz vor der Pleite. Sofort fanden sich viele Fans, die bereit sind, dem Verein unendgeldlich zu helfen. Sie bieten ihre Dienste als Ordner, Verkäufer etc. an, alles ohne auch nur ans Geld zu denken. Der Verein liegt ihnen am Herzen, sie können und werden ihn nicht aufgeben.