Wir zieh´n vergnügt und froh dahin ...
Ja, es ist schon schwer, mitten drin zu stehen und sich vergeblich die Lunge aus dem Hals zu brüllen. Und dabei ist es doch noch gar nicht so lange her, da dominierten die in ganz Europa gern gesehenen BVB-Fans mit ihrem schier grenzenlosen Einfallsreichtum und ihrer ungezügelten Lust zum Spieltag- feiern, das deutsche Fußballgeschehen. Und heute? Was ist eigentlich aus all denen geworden, die schwache Spieler einst stark schrieen und Lieder erfanden, die von Nord nach Süd ihren Wiederhall fanden?
Borussia muss einfach nur "erkannt" werden...
Zum Fußball? Wo willst Du hin? - So oder ähnlich hatte mich meine Mutter mit hoch erstauntem Gesichtsausdruck angeschaut, als ich ihr am 18. Oktober 1972 kackenfrech verkündete, das Duell zwischen dem BVB und dem in Zeiten des Dortmunder Abschwungs unsäglich aufbegehrenden VFL aus Bochum "live" mit ansehen zu wollen. Sicher, als BVB-Fan hatte man es damals nicht leicht. Schnurstracks führte der Weg des einstigen Aushängeschildes der stolzen Reviermetropole in die triste Zweitklassigkeit. Und genau deshalb musste man ja was tun! Wie konnte sie das nur nicht verstehen in einer Phase, wo jedes ach so winzige Pünktchen auch in diesem Jahr zur Rettung beitragen konnte? Gerade erst hatte Hoppy Kurrat, seines Zeichens Altborusse mit rund 600 BVB-Spielen auf dem Buckel und immerhin Kapitän auf diesem in starke Windböen geraten Flaggschiff Borussia erklärt: "Wir werden nie absteigen!" Ein Mann ein Wort, denn schließlich hatte Hoppy vor einigen Jährchen den Europacup gegen Liverpool gewonnnen. Wenn man diesem Stück lebende BVB-Geschichte nicht glauben darf, wem dann? Es war die erste bitterschwere Enttäuschung, die mir als jungem Rotzbengel von meiner "großen Liebe" zugefügt worden war, wie ich am Ende der Saison mit Tränen im Auge zur Kenntnis nehmen durfte...
Kurzum: Ich durfte, 11 Jahre alt(!) unter strengsten Auflagen und eskortiert von meinen beiden 13- jährigen Kumpels dieses wenig erbauliche 1:1 mit ansehen! Vadda hatte sich kurzerhand verständnisvoll eingeschaltet, zwar noch schnell mit bittersaurer Mine bemerkt, dass "diese Luschen sowieso wieder vergeigen, sogar gegen Die da", aber der Weg war frei für ein künftiges Leben, von dem ich nicht einmal in kühnsten Jungenträumen ahnte, was für einen Stellenwert dieser Fußballsport da einnehmen würde.
Vor ungefähr einem Jahr starteten wir hier die Serie: Warum bin ich eigentlich Borusse? Es erreichten uns damals überwältigend viele Zuschriften, die wir dann auch veröffentlicht haben. Heute möchten wir Euch wieder animieren, uns zum Thema: "Wie entstand eigentlich diese "tiefe Abneigung" zwischen den beiden großen Volksvereinen des Ruhrgebiets?" mit Euren Ansichten zu bombardieren. Gerne könnt Ihr uns aber auch einen Einblick in Euer Herz gewähren, wie Ihr Fans dieses unvergleichlichen Mythos Borussia Dortmund wurdet. Eine Bitte haben wir allerdings: Wenn Ihr uns schreibt, dann bitte nicht nur ein paar Zeilen!
Es war eine schöne Zeit, allen sportlichen Misserfolgen zum Trotz! Zwar stiegen wir wie erwartet erstmals in die Niederrungen der Zweitklassigkeit ab, damals noch Regionalliga-West. Aber es war wie ein Treueschwur der "Eingefleischten", die wie in einer "Jetzt erst recht"- Trotzreaktion die damaligen Umlandclubs aufsuchte. Ob Union Ohligs (heute Solingen), DJK- und SVA Gütersloh, Mülheim-Styrum oder der Stimberg der SpVgg Erkenschwick, überall reiste man an und brüllte sich die Lunge aus dem Hals für die nach dem Abstieg bunt zusammengewürfelte Truppe in Schwatzgelb. Namen wie der von Hannover gekommene Horst Bertl, Mittelfeldstratege Karl-Heinz Brücken, Libero Helmut Nerlinger, oder Kapitän Theo Bücker waren jetzt unsere Helden. Der Zuschauer-zuspruch hielt sich in diesen Tagen ziemlich in Grenzen, aber uns störte das wenig. Dauerkarten waren etwas für Unverbesserliche, wer ein BVB-Jahresticket hatte, musste einfach zuviel Geld besitzen, war des Spotts sicher und nahm in Kauf, dass so ganz nebenbei an seinem Verstand gezweifelt wurde. Vorverkaufsstellen für Borussia? Das Überflüssigste auf der Welt, denn wozu benötigte man einen Vorverkauf, wenn das altehrwürdige "Rote Erde" sowieso leer war und man am heiligen Sonntag (Regelspieltag in der RL) ohnehin vom Kassierer per Handschlag begrüßt werden konnte?
Kutten - Vom Aussterben bedroht?
Inzwischen hatte mir meine Mutter selbstredend einen wunderschönen schwatzgelben Schal gestrickt, von dem ich gar nicht wusste, wo ich den noch drum binden sollte, damit er letztlich passt. Jaja Mütter mit ihrer umsorgenden Ader... Aber dieses "Riesenviech" half mir bei meinem gesellschaftlichen Aufstieg in der Nordkurve, dem damaligen Domizil der geballten Fahnenträger. Die Kurve im "Rote Erde" war dominiert von hunderten von langhaarigen Krakeelern, die allesamt eins gemeinsam hatten: Sie trugen eine Jeansweste mit abgeschnittenen Armen. Wenn es das nur gewesen wäre, ich hätte irgendwie schon meine Eltern genötigt, mir auch eine Jeansjacke zu kaufen, keine Frage, aber was diese Ex-Jacken, bzw. "Westen" so einmalig machte, war die bunte Masse von Aufnähern, die es nirgendwo zu kaufen gab - es sei denn in den Auswärts-Stehtribünen der Liga! Also musste reisen, wer was "Neues" drauf haben wollte. So einfach war das. Diese liebevoll gestickten oder gedruckten Anfertigungen waren über die Maßen kreativ und hatten nahezu immer "unseren Feind" zur Zielscheibe! Alles, was den abgrundtiefen Hass gegen diesen Vorstadtverein von nebenan zum Ausdruck bringen konnte, wurde irgendwie angefertigt.
Zu dieser Zeit war der Schalker Meineid-Bundesligaskandal noch ziemlich frisch und die Inkarnation des Bösen war nun halt der S04! Die Volksseele ist doch einfach gestrickt. Keine Ahnung, warum dieser Club seit jeher so gehasst wurde? Es gab einfach keine befriedigenden Antworten darauf. Mal hörte man, dass dieser vom "Führer" so gnadensreich verschonte Club durch die allgegenwärtige Hilfe aus der Reichshauptstadt seine Dauer-Abo-Meisterschaften deshalb gewann, weil er seine besten Spieler nicht zur Front ziehen lassen musste, mal entstand das Gerücht, dass es mit der Dortmunder Wachablösung um die Westfalenmeisterschaft am 18. Mai 1947 seitens der zuvor 21 Jahre sieges-verwöhnten Schalker nachhaltig zu tun hatte, manch einer nannte die nach dem Krieg rasch eingedeutschte "Polenfraktion" (fühlen sich ja bis heute wohl in diesem Club, wie die durchaus erlaubte Parallele zur Gegenwart zeigt!) der Püttmalocher der "Schiebi-kubi-ka-schewskis" als Begründung für derlei Ablehnung, oder erklärte seine Abneigung schlicht wie mein Vater, der mich ob dieses Wissensdefizites kurzerhand aufklärte: "Mein Sohn, ich weiß nicht, was mir an denen nicht gefällt, aber schon wir haben ihnen in die Fresse gehauen" - Whow, was für ein Statement. Mein Vadda auf den Spuren eines Raufboldes (wohlmöglich sogar den Vorfahren des Hooliganismus)? Tja, das musste wohl innige Vereinsliebe sein! Jetzt war mir allerspätestens klar: Borussia Dortmund war Lebensinhalt, es war sogar mehr als das, es war eine Art "Religion" für Dauerbeseelte!
Was meint Ihr, wie entstand eigentlich diese „tiefe Abneigung“ zwischen den beiden großen Volksvereinen des Ruhrgebiets? Schreibt uns Eure Meinung !
Dieserart empfanden wohl alle, die mich "Jungspund" mitten in ihre Reihen, in "den Schoß des harten Kernes" ließen. Der tosende Mob wurde seinerzeit noch klassisch angeführt vom legendären "Akka", der leider so früh verstarb. Wenn der was sagte, war das für alle Gesetz! Riesengroße Fahnen waren zu dieser Zeit total in und verbreiteten einen Hauch von südländischer Stimmung, wie man es ja nur aus dem Land der heißblütigen Tifosis aus den Europacup- oder Länderspielen kannte. Es war überhaupt ein beeindruckend farbprächtiges Bild in der Kurve, dominiert von "Kutten" in Selfmade- Schals und Bommelmützen. Erst gegen Ende der 80´er Jahre gab es erste Serienproduktionen, die sich dann allerdings mit dem Pokalsieg 1989 beim Fan mehr und mehr durchsetzten. Für unsereiner wie mich war es ein unglaubliches Privileg, da mitten zwischen die "Alteingesessenen" zu dürfen und dort nahezu familiär aufgenommen zu werden. So war es ein leichtes, die in dieser Zeit noch aus viel Text bestehenden Anfeuerungslieder zu erlernen. "Und so schlugen wir nach altem Brauch..." oder "Wen wollen wir fressen, Rot-Weiß Essen..." hallte es da noch durch die kleinen Kampfbahnen des Westens und ich kann ermessen, wie ähnlich es einem Anhänger, zu neudeutsch "Supporter" aus dieser "postmodernen Ultrabewegung" geht, wenn er heutzutage zu genau diesen Grounds pilgert, dort auf den Dörfern zündelt und sich selbst mit der Wiederkehr dieses "althergebrachten Liedgutes" zelebriert. Inszenierungen, die der harte und sangesfreudige Kern der Borussen- Fans eigentlich immer schon abfeierte, wenngleich seinerzeit noch ohne "Pyro", denn auf so eine Idee wären wir zu dieser Zeit ja nie gekommen! Wir hatten noch als "herausragende Besonderheit" eine olle Autobatterie dabei, an dessen Ende eine 9-Klang-Fanfare amerikanischer Herkunft den Gegner bei jedem Borussen-Angriff schier wahnsinnig und uns vom schlören müde machte.
Zauberwort: Integration des Nachwuchses!
Singen und klatschen war unsere einzige Intention und wer das nicht wollte, ja der hatte schon vor´m Zug schlechte Karten! Nicht zu singen, konnte den ultimativen Ausschluß aus dem Aktivkreis bedeuten und das konnte sich keiner der hier dabei war, erlauben. Andernfalls musste man auf die Gegengerade gehen, oder sich einen Platz auf der Holztribüne suchen. Aber wer anfeuern wollte, der war willkommen. Keine Allüren, keine Ausgrenzungen, keine doofe Anmache. Wer mithelfen wollte, unser Team zum Sieg zu brüllen (oder wenigstens zu einem Unentschieden - zu dieser Zeit waren wir ja genügsam) war willkommen! So einfach war das. Und man hörte da schon genau zu, wenn Jumbo (ja genau der, der dann eines Tages "so zum Spaß sagte..."), Akka oder Mikus was anskandierten! So waren sie, die "geregelten" 70´er und 80´er, in denen ich das Glück hatte, zwischen tollen Fans mein schwatzgelbes "Einmaleins" zu erlernen. Und heute? Heute raunzen mich allen Ernstes hyper-aufgedrehte Milchreisbubis zwischen SMS und Dauerpinkeln von der Seite an und fragen quälend: "Ey Typ, was bist denn Du für einer, warst Du eigentlich auch schon mal auswärts?" [*LOL*]
Etwa Anfang der 80´er Jahre - Borussia hatte inzwischen mit Schlitzohr "Manni" Burgsmüller längst wieder einen angehimmelten Helden - mischte sich zusehends in die heitere, bunte Szenerie eine neue, bisher nicht gekannte Absplittung der sittsam-normalen "Fankultur". Durch ihre auffällige Enthaltung beim Spiel waren sie für alle sofort zu erkennen. Sie standen meistens direkt hinter´m Tor und auf Kommando gaben sie sich mit kreisenden Armbewegungen dem Gegenpart des Mobs auf der anderen Seite zu erkennen. Auffällig war ihre hochwertige Kleidung feinster Markenartikel, teure Brocken, beste Markenturnschuhe, Handschuhe und einem Schirm: Die Hooligans! Sie grenzten sich aus der Fanmasse radikal aus, denn ihr Anliegen galt weniger dem Treiben auf dem Rasen, sondern war vielmehr auf die "dritte Halbzeit" ausgerichtet. In ihrem arroganten Auftreten schürten sie - die größtenteils "Besserverdienenden aus gutem Hause" - den "Elitegedanken" und es war wohl auch anfangs schwer, einer von Ihnen werden zu können! Und doch wollten es viele! Entgegen der "Schmuddel-Proll-Kultur" der Kuttenfans stellten diese zu allem Entschlossenen Chevignon- Jackenträger sich dem aufmüpfigen Gegnervolk nach dem Spiel und wollten so manch verlorene Schlacht auf dem Nebenplatz kurzerhand noch umdrehen! Eine Frage der Ehre! Ihre Heldentaten waren dann allmonatlich für jedermann offen nachzulesen in der seinerzeit an jedem Bahnhof erhältlichen Hauspostille "Fan-Treff". Die Katastrophe von Heysel bestärkte sie zusätzlich in ihrem Wirken und ließ die Mobs auf mehrere 100 Mann anwachsen. "Koalitionen", wie die jahrelang tragfähige der Hamburger mit den Dortmundern, stellten die Polizei vielerorts vor Rätsel. Es war plötzlich Krieg auf Deutschlands Straßen und keiner hatte Lösungen parat. Die Politik versuchte soziologisch zu erklären und psychologisch durch Streetworker einzuwirken. Es schlug Anfang der 90´er die Stunde der Fan-Projekte. Sie sollten den Mitgliedern der dominierenden Gruppierungen wie etwa der "Borussenfront" hier oder der "Gelsenszene" da sozialarbeiterisch näher kommen und den Ausstieg Einzelner erleichtern. Bis heute gibt es zwar einen Haufen Präventivmaßnamen, auch wurde sogar eine bundesweite Datei der potenziellen Kategorie "C" Täter ins Leben gerufen, aber das "Phänomen Hooligan" existiert in abgeschwächter Form eigentlich bis heute - wenn auch unter weit weniger öffentlicher Zurschaustellung des Aktivistenkreises - unverändert weiter...
Der Rückgang der in die Jahre gekommen "Hools" aus den Fanblöcken der Stadien und der einhergehende Mannschaftserfolg, der mit Identifikationsfiguren, wie "Günther "Katsche" Kutowski und "Fränki" Mill im von 40.000 Borussen in Berlin gefeierten Pokalsieg 1989 bzw. dann im UEFA-CUP- Finale 1993 gipfelte, war nicht etwa die Chance der "Kuttenträger" und "Normalos", sich ihre Kurven zurück zu holen. Nein im Gegenteil. Es war gerade die sattsame Untätigkeit der angestammten Südtribünensteher, die - nach einem sicherlich nicht zu unterschätzenden Generationswechsel, der sich schleichend nach der Doppelmeisterschaft 1995 und 96, merklich aber beginnend in 1997 einnistete - einfach nicht mehr die Kraft zu inneren Reorganisation und Erneuerung hatten! "Monolithische Blöcke" (Lieblingswort von Michael Meier) waren entstanden, deren träge Unbeweglichkeit in aller erster Linie daran erkennbar war, dass sich inzwischen klammheimlich eine andere Gruppe mittendrin breit gemacht hatte, die Armee der Trikotträger! Zu erkennen waren sie schon von weitem an der in diesen unglückseligen Tagen überschwappenden neuen farbenfrohen Mode aus Amerika, die uns mit Ausrüster "NIKE" urplötzlich ins Haus wehte. Was tat das dem an konservativem, eigelbfarbenen "adidas" gewöhnten Auge weh! Hausbackener Design von der Stange war out, grell und weit musste es sein! Unter totaler Ignorierung der Traditions-Mutterfarben wurden wir zwischen 1990 und 1998 von einer Neongelb- Kollektion zur nächsten beglückt. Und jedes Trikot war ein "Designerprachtstück" [TM], nur mit Fußballtrikotage hatte das alles nichts mehr zu tun! Wer Anfang der 90´er Jahre was auf sich hielt, wer sich aktuell zum postulierten Aufbruch aus der faden Tristesse der unmodern zu werdenden Arbeiterklasse dazugehörig fühlte, hatte fix die Merchandising- Neuerungen im an Gigantismus strotzenden "BVB-Megastore" erworben. Das kleine Heer derjenigen, die sich nicht vereinnahmen ließen, ging in der breiten Masse der "Leuchtkäferleibchen" unter und es sollte Jahre dauern, bis die Vereinsverantwortlichen endlich die Abkehr beschlossen - freilich nicht etwa aufgrund unseres "Wiederstandes der Aufrechten", sondern schlicht und ergreifend aus Gründen der Portfoliomehrung! Mit "goool.de" war man längst ausgeschert zur totalen Radikaloffensive auf unsere Portemonnaies...
Und plötzlich schwappte die Ultrabewegung über die Alpen
Dieses "Häufllein der Wiederspenstigen" aber hatte sich schon längst separiert und sich auf Gedeih und Verderb dem drohenden Ausverkauf unserer Tradition entgegengestellt. Hierin lagen wohl die Gründe für die Mitte der 90´er Jahre aus Südeuropa rasch vordringenden Fankultur, der sog. ULTRAS. Zwar hatte man mit dem Besuch der "Rude-Boys" von Sampdoria Genua bereits schon in der 2. Runde des UEFA- CUPs im Oktober 1989 die ersten Ultras in Dortmund erlebt, doch so richtig interessiert hatte sich da noch niemand für diese "Paradiesvögel." Jetzt aber war es schick wie modern, ein Ultra zu sein - ganz gleich was auch immer das zu bedeuten hatte. Das "Ultra-Manifest" der Giallo-rosso´s aus Rom musste man schon mindestens kennen, um dazu zu gehören!
Und plötzlich sahen sich der BVB in seinen stillen Vorbereitungen auf die Wandlung vom (Volks-) Verein zur Kapitalgesellschaft jäh aufgeschreckt. Eine breite Front gegen die jetzt zügellos um sich greifende Kommerzialisierung bei gleichzeitiger, sukzessiver Entfremdung von den Wurzeln der Tradition, war man nicht bereit länger untätig hinzunehmen. In den Blöcken tat sich was. Mittels einer neuen Ausdrucksform war man jetzt - zunächst in kleinen Gruppen gebündelt - unübersehbar präsent. Die aus politischen Demonstrationen bekannten Transparente, die zumeist des besseren Tragens wegen von zwei Stöcken gerahmt wurden, gaben das Vorbild einer neuen Fahnengeneration ab, die sich schlicht "Doppelhalter" nannten. Sie lösten - zumindest hier und da - schleichend die eigentlich seit Menschengedenken immer da gewesene Schwenkfahne ab. Sicherlich ist gelegentlich auch schon mal ein besonders großes Exemplar dieser Spezies zu sehen, das sich majestätisch durch den Block zieht, aber die Trends der Zukunft weisen auf einer heutigem Zeitgeist unterworfenen Lachparade karikierter Motive an "zwei Stöcken" hin! Der neutrale Betrachter lernt schnell: Doppelhalter müssen nicht zwingend den Vereinsinsignien unterworfen sein, um ihre Daseinsberechtigung im Fanreich zu haben. Interessant auch, dass bei demoskopischer Betrachtung der harte Kern dieser einmal scherzhaft als "UMBRO- Aktivisten" bezeichneten Fangruppe, einen Altersdurchschnitt von deutlich unter 18 Jahren - vorsichtig geschätzt - repräsentiert. Aber was treibt denn gerade ausgerechnet diejenigen, die noch kaum was mit dem Club erlebt haben dazu, sich einer Rückkehr zu selbst nie erlebten Ritualen (Tradition/en) zu verschreiben? Oder muß am Ende gemutmaßt werden, dass es mehr der provozierende Spaß als solches ist, die Lust auf Ausbrechen aus den stagnierenden Fronten, das so geil aufs Dabeisein macht? The answer my friend, is blowing in the wind…
Beinahe gleichzeitig wurde eine Flut von Unbehagen gegen die immer mehr von finanziellen Interessen im Doppelpass zwischen DFB - jetzt DFL - und Kirch-Mafia geleitete Spielplanansetzung durchs Land gebrüllt, die sich in der Aktionsplattform "pro 15:30" sammelte und maßgeblich von der neuen Ultrabewegung getragen wurde. Quasi über Nacht entstand erstmals eine ernstzunehmende Protestbewegung, vor der selbst der allmächtige DFB ins Stocken geriet. "Mündige Fußballfans" wehrten sich aktiv und - womit kein Mensch gerechnet hatte - sogar vereint koordiniert und stimmten gegen die von Zahlungsunfähigkeit gekennzeichnete "PREMIERE"- Abzocke, die so unliebsamen Sonntagsspiele, zu späte Spielansetzungen und die Verlegung der unverschämterweise als "zeitnah" gepriesenen und frei empfangbaren Bundesligaberichterstattung in die familienunfreundliche Sendezeit auf 20.00 Uhr unübersehbar ab und zwangen die scheinheilige Koalition der Nadelstreifenträger zu einem ersten Wendemanöver. Aber noch ist der offene Kampf der "Rest-Kirchallianz" gegen die sensibilisierte Konsumentenfront nicht zu Ende! Die Fandemo in Berlin am 11. Mai hat angedeutet, was hier in Deutschland noch möglich ist - aber das ist eine andere Geschichte...
Als klar nachteilig ist das zunehmende "Elitestreben" der Ultras für die Einheit der Fanmassen, da die "Balkenschalträger" die "Trikotfans" als zu unkritisch und (Vereins-) angepasst einschätzen. Zeichneten sich früher gerade die vollen Blöcke durch patriotische Geschlossenheit (im Gesang) aus, so droht diese durch heutige Parzellierung der Grüppchen in regelrechte "Claims" zusehends zu zersplitten. Als hauptsächliches Problem dabei wurde ausgemacht, dass so ein "Stimmungsblock 82" - so gut er auch immer im Ansatz angedacht war - zu jeder Zeit mit kritischem Argwohn beäugt und mehrheitlich abgelehnt wurde, da er nie den "Gesamttenor" der ganzen Südtribüne treffen und darüber hinaus auch in seiner eigenen, gewählten "Beengung" keine Chance auf Weiterverbreitung hatte. Das sich kontinuierlich eine große Anzahl nicht nur - aber auch aus "Protest vor Dominierung" schweigend enthielt, bzw. es auch jetzt - nach Umzug - noch tut, muß hier sicher nicht noch extra gewürdigt werden.
Aber der sinnlose Kampf "Ultras gegen den Rest" kann am Ende keinen Sieger haben und so steht zu befürchten, dass diese Bewegung bereits schon jetzt am Scheideweg steht und nur als weitere, bloße Modeerscheinung in die Fangeschichte einzugehen droht. Dabei hätte sie bei weniger Borniertheit durchaus die Chance, die Szene nachhaltig zu prägen und zu dominieren. Das lose zusammengebröckte Fanvolk wartet geradezu auf Erlösung aus ihrem nichtigen Sein! Wie gern lässt man sich doch in Zeiten kollektiv schwachen Gesanges von jeder noch so schäbigen Mallorcamucke mitreißen, sich aber auch längst bei Choreographien einbinden, oder durch die Wiederauflage längst vergessener Traditionsgesänge oder Stakkatos ab und an zwanglos vereinnahmen. Da aber keiner auf den andern zugeht, werden die einen weiterhin untätig dem Spiel zuschauen und sich gelangweilt beim SMS schreiben bespaßen und die anderen weiterhin fröhlich südeuropäische Lieder "schwatzgelb eindeutschen" (Adi-adi-adi-adi-hoooo... ist allerdings wohl der Durchbruch gelungen! *lol*) und in kleiner Minderheit sich vornehmlich selbst zum Besten geben...
Alles in allem bleibt festzuhalten: Die heutige Fanszene ist irreversibel entzweit, in hohem Maße egoistisch (We only sing when we´re winning), und in weiten Teilen besorgniserregend gleichgültig. Während unsereiner nach einer samstäglichen Niederlage das Wochenende böse verhagelt hatte und in höchst masochistischer Selbstverleugnung "Verdrängung" betrieb, geht den meisten meiner heutigen "Nachfolger" so was schlicht "am Arsch vorbei". Schade, denn die "Leidensfähigkeit" ist seit jeher eine Tugend der Fußballfans im gesamten Ruhrpott gewesen. Wer das nicht drauf hat, wer emotionslos abnickt, wenn der verhasste Erzrivale im ersten Spiel in seinem neuen, fehlerbehafteten "Parkhaus" durch Schiri´s Hilfe den knappen Sieg über die Zeit bringt, der hat wohl nie gelebt. Und ich, der ich wahrlich in meinen weit über 1000 Spielen diesen Club meines Herzens aus allernächster Nähe verfolgt hab, hege inzwischen nur noch einen einzigen Traum: Die Wiederbesinnung auf die einzig wahre Kraft der Dortmunder Massenhysterie! Zu lange schon habe ich das nicht mehr erlebt, dass ein Ball in das Tor vor der Süd regelrecht hinein geschrieen wurde und sich der eingeschüchterte Gegner beim Blick auf diese gigantische Menschenwand die Hosen voll scheißt, wenn er unseren Rasen betritt... Ja, 2002 wird unser Jahr!