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Tatort Bundesliga - der 5. Spieltag 02/03: Wenn Derbys langweilig werden

16.09.2002, 00:00 Uhr von:  BoKa
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Das Fußball-Wochenende stand ganz im Zeichen des "Spiels der Spiele" im Revier, aber das 120. Ruhrpottderby war wieder einmal nur ein Langweiler. Wieder einmal schiedlich-friedliche Punkteteilung, eine unverhältnismäßig ängstliche Heimmannschaft, ein todunglücklicher "Metze" und ein motzend ihm zu Hilfe eilender Sammer ab auf die Osttribüne. Das war die magere Bilanz aus Dortmunder Sicht. Die zahlreich anwesende Politprominenz, in Wahlkampfzeiten selten derart einer Meinung, lag gleichermaßen mit der gewagten Mutmaßung: "Der Meister wird schon mit dem Pokalsieger fertig" böse daneben und trottete letzlich ebenfalls konsterniert von dannen.

Es war ein ungewöhnlicher Anblick. Da saß er nun zwischen Rollifahrern inmitten seiner schwatzgelben Fans und fieberte fast 20 Minuten aus der ersten Sitzplatzreihe mit seinem Team. Und immer öfter brüllte er ins Spielfeld rein. Schiedsrichter Lutz-Michael Fröhlich, der den Cheftrainer zu dessen völliger Verwunderung in der 73. Minute von seiner Trainerbank hinauf in die Höhen der Osttribüne verbannte. Matthes "Motzki" Sammer - er konnte Fröhlichs Entscheidung nicht im Geringsten nachvollziehen, denn der Vorwurf , der Coach soll die Coaching-Zone verlassen haben, ist bei Sammer ja kein Vergehen, sondern mittlerweile normaler Standard. Und seine verblüffende Aussage: "Zu Linienrichter und Schiedsrichter hatte ich während des Spiels eigentlich ein glänzendes Verhältnis. Ich habe in dieser Situation höchstens eine Ermahnung erwartet. Aber diese Entscheidung war ein Witz", konnte auch niemanden ernstlich überraschen. Kurze Zeit später lederte Sammer vor laufenden Kameras beleidigt ab, dass er aber eine mögliche Geldstrafe vom DFB gar akzeptieren will.

"Ich wollte Christoph Metzelder nach seinem Fehler aufbauen, habe vielleicht die Emotionen laufen lassen", gab der Hitzkopf dann allerdings später zu. Dazu passend war auch der mit Vorschußlorbeeren ja geradezu überhäufte Torsten Frings angefressen. Der Nationalspieler hatte von Sammer aufgrund seiner überaus bescheidenen Darbietungen zuletzt kurzerhand "eine schöpferische Pause" erhalten und wurde erst wütend grollend in der 74. Minute für Tomas Rosicky eingewechselt, was wiederum keiner im Westfalenstadion verstand. Sammers Auswechslungen sind ohnehin für den sachkundigen "normalen Besucher" immer weniger nachvollziehbar. Statt dem Gast aus der Emscherstadt noch mal im Schlussspurt gehörig einzuheizen und einen frischen und heißen Billy Reina oder Heiko Herrlich zu bringen, durfte sich der "lange Schlacks" da vorne hundemüde aufreiben! Das nimmt kein gutes Ende, wenn der Coach da nicht bald mal eine Alternative aufbaut. Auch wäre es überaus wünschenswert, wenn ein Spielerwechsel mal zu einer Zeit erfolgen könnte, wo es durchaus noch Sinn macht. Jeder, der selbst mal gezockt hat weiß, wie es ist, wenn Du für volle 5 Minuten noch mal "ins Geschehen geworfen wirst".

Kampf, Krampf und ein neues Modewort namens Kartoffelacker

"Schon seltsam, wenn eine Fußball AG in Stadien, Logen, Business-Seats, in Reisebüro und Internet-Firmen investieren kann, aber die Grundlage für die ganzen Investitionen, einen Rasen, nicht mehr hinbekommt. Da stimmt dann irgend etwas nicht. Da sind die Prioritäten wohl ein wenig falsch gesetzt. Rückkehr ins Stadion Rote Erde?" Das schrieb jedenfalls Rainer Kalb dem BVB süffisant ins Hausaufgabenheft. Von Beginn an entwickelte sich jedenfalls ein typisch verkrampftes Derby zwischen den Erzrivalen auf seifigem Grün.

Erbittert geführte Zweikämpfe und eine Vielzahl an Fouls hemmten den Spielfluss aber brachten wenigstens so etwas Stimmung in die Bude, wenn sich schon die Gesänge in dieser riesigen Menschenwand wieder mal arg in Grenzen hielten! Was ist eigentlich mit der Südtribüne los? Gäbe es die eifrigen Bemühungen der Supporters Dortmund nicht, könnte man vermutlich des Öfteren ein Feuerzeug schnippen hören, so kommt es einem zumindest vor. Der ehemals erkickte Ruhm und die goldene Vergangenheit sind passé - schafft endlich wieder einen gescheiten Stimmungsrahmen für unsere Spiele, dann fallen auch die Buden wieder wie reife Früchte! Es scheint ohnehin aber wie verhext. Denn unter einem Matthias Sammer, der sich gleich bei seinem Einstand vor zwei Jahren als verantwortlicher Trainer eine 0:4 Schruppe eingefangen hatte, will und kann die Borussia gegen die Blauen kein vernünftiges Erlebnis mehr erzielen. Der 14. November 1998 (3:0) ist wirklich schon sehr lange her?. "Das ist schon sehr ärgerlich", gesteht da der BVB-Coach frank und frei ein, obgleich ihm derlei Nebensächlichkeiten normalerweise keinerlei Emotionen abringen. Wenn es aber um das Dortmunder Selbstverständnis geht, weiß der gebürtige Sachse, was zu sagen ist, auch wenn es der schwatzgelbe Fan nicht versteht. So geschehen vor den Derbys, als er dieses enorm wichtige Duell der Religionen mit allen anderen Bundesligakicks gleichsetzte. Mit Schauer denk ich daran? Cottbus, Wolfsburg, Muschies? alles gleich?

Ernste Sorgen aber muss sich der Trainerstab vielmehr um die Tatsache machen, dass die BVB-Stürmer es zur Zeit einfach nicht hinkriegen, ihre hochkarätigen Chancen, in Zählbares umzumünzen. Allein "Chancentot" Jan Koller hätte bereits vor der Pause alle Dortmunder Probleme, die sich durch die jahrelange Flaute gegen 04 aufgestaut haben, mit einem Rutsch aus dem Stadion fegen zu können, doch der schlaksige Tscheche machte auch an diesem Derby-Tag für die Borussia so ziemlich alles falsch, was man als "Keilstürmer" nur falsch machen kann. Nehmen wir zuerst die 34. Minute: Er touchierte einen sicheren Kopfball aus fünf Metern derart halbherzig, dass das Leder ohne Richtungsänderung am Gehäuse von Rost vorbei ins Aus trudelte. Nur 120 Sekunden später(!) schob er ohne Not freistehend den Ball in die Arme des am Boden neben(!) der Schalker Bude liegenden Frank Rost, um dann kurz vor dem Halbzeitpfiff zur Komplettierung seines persönlichen Desasters das Objekt der Begierde auch noch vom Fuß des einschussbereiten Evanilson zu nehmen. Ob der dann allerdings getroffen hätte? Und schon rufen sie alle nach Amoroso, der ja wie Schwatzgelb.de aus zuverlässiger Quelle erfuhr, seinen "Sonderurlaub" noch in dieser Woche abbrechen wird und wieder hier eintrifft. Der "Heilungsprozess" des Torschützkönigs unter südamerikanischer Sonne, kann als beendet angesehen werden, denn Marcio Amorosos, ehemals entzündete Achillessehne ist seit Wochen schon kein Thema mehr! Was nützt jetzt noch das lange diskutieren um die wahren Hintergründe seiner Abwesenheit? Tatsache bleibt: Amoroso fehlt uns sehr!

Der FC Bayern schockt die Gegner und verzückt den eigenen Anhang. Diese Bayern spielen einfach nur souverän. Sie spielen, jederzeit um ihre Überlegenheit wissend, abgeklärt, kalt bis in die Seele, und zelebrieren dennoch dabei mitunter wunderbare Kombinationen. Wenn sie ein Tor brauchen, legen sie einen Gang zu, bis es fällt, und dann gaukeln sie dem Gegner wieder vor, er habe doch den Hauch einer Chance. Alles in allem eine klinisch saubere Performance, welche den Charme eines kalten Chirurgen-Skalpells verströmt. Gestatten, hier operiert Sie Prof. Dr. Ballack. Diese Meisterschaft wird, ach!, so langweilig. Dies ist wahrlich kein Vorwurf gegen die Bayern, sich die beste Mannschaft seit langem zusammengekauft zu haben. Doch ein Thriller, ein Fetzer, ein ernsthafter Wettbewerb mit gleichen Chancen unter fast Gleichen wird diese Saison 2002/03 wohl nicht mehr. Mit dieser Mannschaft ist der Meistertitel für die Bayern eine geradezu selbstverständliche Pflichtkür, messen lassen muss sie das Dreamteam nun an ihrem Abschneiden in der europäischen Königsklasse. In der Bundesliga gibt es offensichtlich keine Gegner mehr - jedenfalls wenn man den Korrespondenten vom Ort des Geschehens zuhört. Bayern, das medienwirksam publizierte neue weiße Ballett, trumpft so auf, wie das der Führungscrew vorschwebt.

"Ich kam mir vor wie im 270-er Diesel gegen einen Ferrari", beschrieb Club-Coach Klaus Augenthaler das Vergnügen knochentrocken. Im verschärften Klassenkampf wirkt aber durchaus ermutigend, dass Einsatzwille und Aggressivität mitunter andere Defizite kompensieren können.

"Wir haben nicht mehr zugelassen, obwohl Bayern in einer anderen Liga spielt", äußerte "Auge" sogar beinahe versöhnlich, nach dem katastrophalen Auftritt beim 1:4 am vergangenen Dienstag in Bremen. "Wenn wir die heutige Leistung in den nächsten Spielen abrufen, werden wir auch die notwendigen Punkte holen." Zumal die Mannschaft weiterhin "intakt" sei, wie zu beweisen war. Vor allem die Kompromisslosigkeit im Zweikampf lässt hoffen. So mancher Solist im "weißen Ballett" aus München, die zarten Füßchen in rote und weiße Schuhe gehüllt, wurde beim Pirouetten-Ansatz mehrfach abgegrätscht von humorlosen Nürnbergern. Mit einer kompakten Mannschaftsleistung konnte der Favorit zumindest geärgert werden - aber mehr auch nicht. Der Club durfte mitspielen, solange es Bayern zuließ. Freilich ohne im gegnerischen Strafraum Panik bei Kahn auszulösen.

Trotz vieler positiver Aspekte: Der FCN hat wieder verloren - und stagniert seit Monaten auf einem dürftigen Niveau. Lediglich Sasa Ciric konnte ein wenig strahlen, nachdem er in die Vereins-Analen aufgenommen worden war. "Ich bin über-, überglücklich", frohlockte der 34-Jährige, "mein Deutsch ist einfach zu schlecht, um zu beschreiben, was ich fühle." Getoppt werden könne das individuelle Erlebnis einzig "durch den Klassenverbleib, den wir auch schaffen werden". Die nächste Kurven-Choreographie wäre Ciric dann wohl garantiert...

Mühsamer Schritt aus der Krise für Huub Stevens

Ungemach drohte in der Hauptstadt: Mit drei Remis und einer Heimniederlage war der "selbsternannte Titelkandidat" Hertha BSC in die Saison gestartet. Der kleine Hoeneß versammelte daraufhin die komplette Mannschaft zur Kabinenansprache. Draußen skandierten derweil die Fans aufgebracht gegen den ungeliebten Trainer Stevens. Gestern dann gelang mit dem 1:0 in Bielefeld vorerst der Befreiungsschlag. Kleider machen Leute, sagt man. Und vielleicht machen Trainingsanzüge ja manchmal doch einen Trainer. Vier Spiele lang hatte der aus dem Ruhrpott kommende Stevens in Berlin das Schmuddeloutfit gegen das feine Hauptstadt-Sakko getauscht und damit in der Bundesliga nicht ein einziges mal gewonnen. Gestern saß der Holländer wie zu Gelsenkirchener Zeiten in der Trainingsjacke auf der Bank und konnte nach einem für Berliner Verhältnisse verkorksten Saisonstart das erste Erfolgserlebnis bei seinem neuen Arbeitgeber feiern. Mit 1:0 gewann Hertha durch ein zugegeben sehenswertes Tor von Marcelinho bei Aufsteiger Arminia Bielefeld. Die Nebenwirkungen des misslungenen Saisonstarts begleiteten die Berliner bis auf die Bielefelder Alm. Rund 1000 Fans waren mitgefahren, um die Profis an die zurückliegenden Leistungen lautstark zu erinnern. "Stevens raus" hatten sie nach der Heimniederlage gegen Mönchengladbach gebrüllt, und auch gestern wurde auf einem Bettlaken erneut die Rückkehr des erfolgreichen Interimstrainers Falko Götz gefordert: "Mit Falko werden wir wieder gewinnen".

Michael Preetz, der mit einer Innenbandverletzung wie Sturmkollege Alex Alves und eine komplette Abwehrreihe mit Simunic, van Burik, Nene und Schmidt pausieren musste, stellte sich - wie es für einen Kapitän üblich ist - vor dem Anpfiff stellvertretend für die Mannschaft hinter Stevens. "Wir wissen alle, dass in Berlin die Leute sehr schnell unruhig werden. Von daher ist es wichtig, dass wir einen Befreiungsschlag landen." Auf dem Platz wirkte Hertha nicht so entschlossen wie des Kapitäns Worte zuvor, auch wenn die Kabinenansprache von Hoeneß II bei einigen offenbar angekommen war. Hertha war bemüht und wollte die hämischen Sprüche nach dem Gladbach-Spiel ungeschehen machen. Der zuletzt so schwache Weltmeister Luizao hatte in der 10. Minute eine Riesenchance, als er an Arminia-Keeper Hain scheiterte. Stefan Beinlich versuchte im Mittelfeld bis zu seiner verletzungsbedingten Auswechslung seine enttäuschende Vorstellung als Abwehrchef gegen Mönchengladbach auszubügeln. Die Mannschaft wollte Wiedergutmachung betreiben, aber die Verunsicherung war spürbar. Und die Defensive bleibt anfällig. Nach einer halben Stunde ließ der ehemalige TeBe-Profi Ansgar Brinkmann auf der rechten Seite Michael Hartmann wie einen Defensivtrottel stehen. Wie eine Erlösung wirkte da der Führungstreffer von Marcelinho. Goor hatte am gegnerischen Strafraum gestört, Beinlich legte für den Brasilianer mehr glücklich als gekonnt auf und dieser vollstreckte dann sehenswert aus 18 Metern zum glücklichen, aber nicht unverdienten Siegtreffer. Hertha beschiss sich vor Glück, denn drei Minuten später wurde weder ein klares Handspiel von Beinlich noch sein rustikaler Einsatz gegen Brinkmann im Strafraum abgepfiffen. Stevens war zufrieden. Und das Falko Götz-Bettlaken wurde von den Fans vorerst wieder eingerollt.

Da kann man spielen wie man will, es sind immer bloß die Tore, die sich ins Fan-Gedächtnis einbrennen. Jedes Detail des Moments indem der kugelförmige Gegenstand in vollständigem Umfang die Torlinie überschreitet, hat allerbeste Chancen, sich irgendwo im Hirn einen Stammplatz zu suchen. Leider ist das so, mag Cottbus Torwart Tomislav Piplica seit der 51. Minute im Bundesliga-Spiel gegen Werder Bremen denken. Döskopp Piplica ist der "Eigen-Tor" der Liga - das ist nun in den Hirnlappen der Fußball-Republik gespeichert. Am 7. Spieltag der vergangenen Saison markierte der "Tor im Tor" den Treffer zum 0:3 gegen Bayern. Mit seinem "Kopfball"-Eigentor des Jahres zum 3:3 für Gladbach hatte der Bosnier im April für den Top-Lacher der abgelaufenen Saison gesorgt. "Piplica - der Torwart, den die Gegner lieben", hatte Gladbachs listiger Coach Hans Meyer seinerzeit als Schlagzeile vorgeschlagen. Die ist seit Samstag wieder hochaktuell.

"Da kann man mit der Mütze drauf hauen, und der Ball bleibt immer noch liegen", schimpfte Piplicas wütender Cheftrainer Eduard Geyer und unkte: "Ich weiß nicht, ob wir jetzt ein Torwartproblem haben."

0:1 gegen Bremen, das dritte Selbsttor im 70. Spiel, das dritte in einem Jahr, was Ligarekord bedeutet - zumindest der "Eigen-Tor" (33) hat ein Problem. Und der nächste Gegner heißt FC Bayern. Gegen die gabs in der Vorsaison bekanntlich sechs Stück - ohne Eigentor. Entweder "Ede" Geyer lässt den aus Aachen gekommenen Zweitkeeper André Lenz ran oder er ändert vor dem Match in München seine Taktik: Wer deckt Piplica...? Damit die Lausitzer auch mal wieder ins richtige Tor treffen, verpflichten sie übrigens heute den 13-fachen Nationalspieler Paulo Rink aus dem Heer der arbeitslosen Vertragsfußballer von der Straße.

Na also: Fredi Bobic kann´s also doch noch!

Was kaum mehr einer zu glauben gewagt hatte wird Realität: Hannover feiert Fredi Bobic! Der Neuzugang von Borussia Dortmund erzielte in seinem zweiten Saisonspiel für die 96´er zwei Hütten - und gibt Bayer Leverkusen böse zu denken. Auf den Eintrittskarten von Triple-Vize Bayer 04 Leverkusen und im Stadion steht bekanntlich dieser plumpe Eigen-Werbeslogan zu lesen: "Get the Bayer-04-Feeling", und es wäre eine spannende Frage einmal abschließend zu klären, was das eigentlich sein soll, dieses "Bayer-04-Gefühl". Aber an diesem Nachmittag war das zweitrangig, denn es gab ein anderes Gefühl zu erleben, das Hannover-96-Gefühl. Das alte Glücks- und Erfolgsgefühl aus der vergangenen Zweitligasaison. Endlich wieder ein Sieg für den "anderen HSV", der erste in der 1. Fußball-Bundesliga überhaupt und der erste nach vier vergeblichen Versuchen. War das 1:3 gegen Energie Cottbus drei Tage zuvor doppelt ärgerlich, weil man die drei Punkte fest eingeplant hatte, dann war dieses 3:1 wohl doppelt schön, weil niemand den Hannoveranern so etwas zugetraut hatte. "Das war ein Sieg unter dem Motto, Totgesagte leben länger?", meinte Trainer Ralf Rangnick im Überschwang seiner ersten Freude (Clubchef Martin Kind kündigte im Deutschen Sport-Fernsehen (DSF) ein baldiges "Vieraugengespräch" an) "Jetzt weiß jeder, dass wir noch da sind", sagte Maulheld Fredi Bobic, auch schon gerade mal 4 ganze Tage Hannoveraner und mit zwei Toren wohl so etwas wie der Mann des Tages.

Vielleicht wird dieser Sieg Hannover 96 tatsächlich mehr helfen als einer gegen Cottbus. Gegen den FC Energie, da hätte jeder die drei Punkte als Selbstverständlichkeit abgehakt. Ein Erfolg in Leverkusen aber, bei einem der Titelanwärter, da horchen wohlmöglich alle auf, da redet niemand mehr von den "Supergurken". Ralf Rangnick hat nach der Partie ein passendes Bild benutzt, um die Situation des Neulings zu beschreiben. "Wir hatten uns in den ersten Spielen ein bisschen verlaufen wie Kinder im Wald", sagte der Schwabe treffend. Durch das 3:1 in der "BayArena" hat 96 die erste Lichtung erreicht und weiß endlich "wo es langgeht in der 1. Liga". Für die Moral, für das Selbstvertrauen und für die Außenwirkung ist der erste Saisonsieg extrem wichtig. Allzu lange hätte sich die Mannschaft damit nicht mehr Zeit lassen dürfen, im Umfeld des Vereins wurde es bereits gehörig ungemütlich. Was aber war anders als an den Spieltagen 1 bis 4, warum trumpfte 96 ausgerechnet in Leverkusen groß auf?

Es gibt viele Gründe; ein nicht ganz unwichtiger ist sicherlich, dass diesmal auch das Quäntchen Glück es gut meinte mit den Hannoveranern. Nach Bayers schneller Führung drohte großes Unheil, ein zweiter Treffer hätte mit ziemlicher Sicherheit eine weitere Saisonniederlage bedeutet. "Nach dem Rückstand hat jeder gedacht: Jetzt geht der Mist wieder los", sagte Kapitän Jörg Sievers. Aber nach einer halben Stunde stellte Leverkusen seine Aktivitäten unvermittelt ein - und 96 taute endlich auf. "Wir haben den Gegner eingeladen", meinte Bayer-Trainer Klaus Toppmöller, der beobachtet hatte, dass "bei uns der Spieler mit Ball der ärmste Teufel war".

So wie 96 fünf Spieltage gebraucht hat, um sich an die Höhenluft zu gewöhnen, so sucht Bayer die Neuorientierung ohne Michael Ballack und Ze Roberto, was dadurch erschwert wird, dass wichtige Profis wie Diego Placente, Jens Nowotny und Dimitar Berbatov derzeit fehlen und andere wie der ziemlich hochgejubelte Torwart Hans-Jörg Butt und Oliver Neuville außer Form sind. Nun sind die Niedersachsen - dank der Nachrüstung des Kaders - ja noch in der Lage, "Qualität nachzulegen", wie es der Coach formulierte. Was er damit meint: Auswechslungen führen zu neuem Schwung, die Ersatzleute Daniel Stendel und Markus Schuler agierten wesentlich auffälliger als zuvor Jiri Stajner und Fernando. Das allerdings "uns" Fredi dermaßen einschlug verwundert zumindest diejenigen rund um den BVB, die dem Blindmann keine Träne nachweinen. Aber zumindest so fair sollten wir sein und ihm für seine weiteren Taten viel Erfolg wünschen - zumindest wenn er Tore erzielt, über die sich die Schwatzgelben diebisch freuen!

Der "Jugendtrend" beim Hamburger SV wird zum Vorbild für Eric Gerets beim 1. FC Kaiserslautern. Nach der 0:2 -Niederlage bei den ebenfalls zuvor äußerst erfolglosen Hanseaten und dem Absturz auf den letzten Tabellenplatz in der Fußball-Bundesliga wird der belgische Coach zu ähnlichen Konsequenzen greifen wie sein Hamburger Kollege Kurt Jara in der Woche zuvor: Alstars raus, Talente rein. Mario Basler und Ciriaco Sforza haben somit zumindest allem Anschein nach zunächst einmal ausgespielt. Das Tor geht klar auf meine Kappe", sagte Sforza, "tut mir Leid für die Mannschaft." Auch Mario Basler war nur noch ein Schatten seiner selbst.

Der 21 Jahre alte Bundesligadebütant Stephan Kling stahl dem ehemaligen "Super-Mario" als direkter Gegenspieler klar die Show, bis der 33-Jährige in der 66. Minute pumpend wie ein Wahlroß richtigerweise ausgetauscht wurde. Auch Miroslav Klose und Vratislav Lokvenc fanden in dem Pfälzer Trauerspiel gegen einen ebenfalls lange Zeit verunsicherten HSV nicht statt und verdienten den Namen "Stürmer" nicht wirklich. "Ich werde mir die Partie noch einmal in aller Ruhe auf Video ansehen, danach kann ich mir vorstellen, dass meine Geduld am Ende ist", sagte ein sichtlich schockierter Eric Gerets." Den Schweizer Sforza hatte er nach dessen schwacher Leistung gegen Arminia Bielefeld eh schon auf den Liberoposten zurückbeordert.

Nur: Impulse oder Sicherheit gingen von ihm aber nicht aus - im Gegenteil: Mit einem katastrophalen Fehlpass leitete er das alles entscheidende 0:2 durch Bernado Romeo ein, nachdem der Argentinier elf Minuten vorher den HSV in Front geschossen hatte. "Von den wichtigen Spielern, die eigentlich Vorbild sein sollten, muss mehr kommen", meinte Gerets nach seinem zweiten Spiel auf der Bank des FCK. Schon beschleichen ihn Zweifel, worauf er sich da eigentlich eingelassen hat bei seinem Wechsel in die Bundesliga: "Ich kann noch nicht beurteilen, ob die Mannschaft bundesligatauglich ist, ob die Qualität des Kaders reicht."

Doch harte Maßnahmen sind unausweichlich. "Ich bin gespannt, wie die Mannschaft jetzt reagiert. Wenn sie jetzt nicht kämpft, haben wir harte Zeiten vor uns." Wie eine Truppe beim Freundschaftskick in der Vulkaneifel agierte das Team in dieser richtungweisenden Partie zweier Fehlstarter.

Der HSV war spielerisch kaum besser, aber bei Jaras Youngstern stimmte wenigstens der kämpferische Einsatz. "Das war ein Anfang, aber es gibt noch keinen Anlaß zur Euphorie", meinte der Österreicher. Mit seinem Pokerspiel hatte er Glück. Nach der desolaten Einstellung bei der Niederlage in Wolfsburg am Mittwoch griff er durch und strich die Oldies Bernd Hollerbach und Jörg Albertz aus dem Kader. Stattdessen nominierte er die Talente Kling, Collin Benjamin, Roda Antar und Lars Jacobsen und bot mit einem Durchschnittsalter von knapp 25 Jahren das jüngste Team der Liga auf. "Wenn das nicht geklappt hätte, wäre ich der Depp gewesen", wusste Jara um sein Pokerspiel. Aber es ging gut, auch wenn sich nach der stürmischen Anfangsphase wieder Nervosität und Verkrampfung einstellte. Doch die Gäste konnte diese Schwäche nicht nutzen.

"Wir haben Glück gehabt, dass wir in dieser Situation gegen einen Krisenklub wie Kaiserslautern gespielt haben", analysierte Nationalspieler Ingo Hertzsch treffend und grinst sich eins...

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