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Neues aus Block 11 - Auswärtsspiel

31.01.2002, 00:00 Uhr von:  Micha D.
Neues aus Block 11 -  Auswärtsspiel
Neues aus Block 11

Kennt Ihr einen Ort, der ruhiger ist als ein bayerischer Luftkurort nach Beginn der Nachtruhe? An dem weniger Stimmung herrscht als beim Bingo mit über-80-jährigen Engländerinnen , die stocktaub sind - und an dem die Euphorie ungefähr so groß ist, wie bei einem Treffen von einem Dutzend notorischer Prüfungsversager kurz vor dem ersten Staatsexamen?

Nein, es handelt sich nicht um den Schalker Markt nach einer Klatsche gegen die Schwatzgelben (hehe!). Ich kenne diesen Ort seit Samstag, 17.30 Uhr: Er liegt im Westfalenstadion, Osttribüne, Oberrang.

Dorthin hatte mich ein ungnädiges Schicksal verschlagen in Person meines alten Freundes B. (er möchte aus gutem Grund nicht genannt sein). Schon mehrmals hatte er mich gefragt, ob ich nicht `mal ein Spiel vom Sitzplatz aus genießen möchte: in der Halbzeit in Ruhe ein Bier schlürfen, an dem Stand der quasi nur eine Armlehne vom bequemen Sesselchen entfernt ist. Endlich mal nicht raten, was sich vor der Nordtribüne abspielt - und ehrlich: bei Preisen von 35 Euro pro Platz und Spiel hatte ich auch etwas Prominenz erwartet, wollte mir von Dr. Niebaum und Mr. Bean die Honneurs machen lassen, Arm in Arm mit Altinternationalen über die Tore jubeln und Rudi Völler `mal die Meinung sagen. Ich sah die VIPs schon warten...

Nun, es kam anders: Keine mit Meißener Porzellan gefliesten Wände, kein echter italienischer Marmor auf dem Boden, keine beflissenen schwatzgelben Bediensteten, die Getränke kredenzen. Nackter Beton, nackte Wände und dieselben Bier- und Frikadellenbuden wie auf dem Weg zur Süd. Etwas enttäuscht schlich ich auf meinen Sitz: Kein bequemer Sessel, ein Klappsitz.

"Ja, und wo sind denn nun die Promis", nörgelte ich ein wenig desillusioniert. "Da", sagte B. und mein Blick folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger auf einen Punkt jenseits des Qualms aus der ersten Rauchbombe der Hertha-Frösche, jenseits des frisch verlegten Rasens - auf der Weesttribüne, genau so weit weg und unerreichbar wie der Block 11.

Um gleich einem gängigen Vorurteil zu begegnen: Nein, man wird nicht geknebelt und gefesselt auf seinen Platz geführt. Nein, man wird auch nicht streng von zwei Ordnern bewacht, damit man keinen Mucks von sich gibt. Es ist der soziale Druck, der den Sitzplatzfan sofort wieder auf Klappstühlchen zurückdrückt, wenn er gerade aufgesprungen ist, um "You´ll never walk alone" mitzusingen - eine Mischung aus Lethargie und einem seltsamen Desinteresse an dem, was sich auf dem weit entfernten Spielfeld abspielt.

Zum Glück werden meine Mitgucker in der ersten Halbzeit nur durch ein Tor aufgeschreckt und sehen sich genötigt, zu klatschen. Anscheinend hat der Verein in weiser Voraussicht vor dem Stadionausbau ein Schallschutzgutachten in Auftrag geben lassen, damit niemand gestört wird: Die Südtribüne hört man nur leise, selbst wenn alle singen. Texte sind nicht zu verstehen, Mitsingen unmöglich.

Dann kommt der Abpfiff der ersten Halbzeit und endlich Leben in die Bude: Alle rennen los und ich verstehe schnell warum - denn ich gehöre zu denen, die fast die ganze Pause vor der völlig überfüllten Toilette warten und noch eben vor Wiederanpfiff ohne Getränk wieder auf ihren Platz hasten.

In der zweiten Halbzeit verderben gleich drei Tore die gemütliche Stimmung. Ich fühle ab und zu besorgt den Puls bei meinen Nebenleuten, ob sie noch leben. Dann ist endlich Abpfiff. Die Massen stürzen aus dem Stadion als würde zuhause das Essen kalt - sie leben also doch noch. Und ich rufe - na, was wohl? "Auswärtssieg, Auswärtssieg."

Fazit:
Oberrang ist, als wenn man sich im Garten vor den Fernseher setzt und den Stuhl absichtlich ein wenig zu weit weg stellt. Nur, dass zuhause die Toilette meist frei ist.

P.S. Jungs, Ihr glaubt doch nicht, dass ich da noch `mal hingehe, bloß weil wir so drei Punkte gegen Hertha geholt haben. Was soll das heißen: "Never change a winning team"? Ihr spinnt wohl. Her mit meiner Dauerkarte.

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