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Die schwatzgelb.de WM-Kolumne 2002 - Teil 4: Morgengrauen, Zwischenepisode I - Rindfleisch in Burgundersoße

08.06.2002, 00:00 Uhr von:  Micha D.
Die schwatzgelb.de WM-Kolumne 2002 - Teil 4: Morgengrauen, Zwischenepisode I -  Rindfleisch in Burgundersoße
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Man kann sie fast vor sich sehen, wie sie am Auskunftschalter auf dem Flughafen stehen und flehen: „Wie heißt noch einmal die Flugnummer? Was ist das für eine Maschine? Wie heißt der Flugkapitän und wie schreibt der sich?“ Solltet ihr jemals einen Menschen dieser Spezies vor euch haben: es handelt sich vermutlich nicht um einen spleenigen Angelsachsen mit einem Faible für das Sammeln von ausgefallenen Dingen, wie die „Trainspotter“, die ständig auf der Jagd nach Fotos von bestimmten Zügen an bestimmten Orten sind.

Dieser Mensch ist viel wahrscheinlicher ein Sportredakteur. In keinem Vorbericht zu einem internationalen Fußballereignis, das eine der teilnehmenden Mannschaften nur per Jet erreichen kann, darf sie nämlich fehlen, die Nummer. „Kaum hatte die Boeing 007 der Crash-Airlines mit der Flugnummer XY 999 abgehoben …“ beginnen diese Berichte fast immer. Keine Ahnung, ob eine Art Ehren-Flugnummern-Kodex für Sportredakteure gibt oder ob die Jungs nur eine Wette laufen haben: Wer die Nummer mit der Nummer vergisst, gibt einen aus…

Noch viel mehr wird der Bericht jedoch um die Geheimnisse der Luftfahrt angereichert, wenn der Sportreporter selbst zum Großereignis in der Fremde anreisen darf: Gern werden einige humorige Worte des Kapitäns an seine Passagiere zitiert, aber eines darf auf keinen Fall fehlen: Die Gefahr, die auf jeden Sportberichterstatter lauert, sobald er den Boden unter sich lässt und sich in die Lüfte schwingt - die Turbulenz. Sie tritt auf Sportreporters Reisen allerdings nie in der Einzahl auf, sondern kommt immer im Plural daher. Wo unsereiner eingequetscht wie eine Ölsardine im Flugzeug nach Malle schwitzt, ein Reisebus auf der ehemaligen Transitstrecke nach Berlin rumpeliger war als unser Großraumflieger und das Gefährlichste der Sitz des Vordermannes ist, der sich in die Kniescheibe bohrt, da wird es bei Reisen im Dienste des Sports mindestens einmal turbulent.

Die Fliegerei mit allen ihren Turbulenzen ist allerdings nur der Auftakt zu allerlei wichtigen Informationen, die sich um das Sportereignis ranken, und die uns unverzüglich mitgeteilt werden. Selbstverständlich werden wir über den Zustand der Betten informiert, in denen unsere Nationalkicker wegen der Zeitumstellung kein Auge zutun. Mit Sicherheit erfahren wir bis auf den Meter genau, wie weit es bis zum Trainingsplatz ist, wann die Balltreter spätestens im Bett liegen müssen und was es an nützlichen Informationen mehr gibt. Und wenn er nicht einschlafen kann, wegen des Jet-Lags (jaja, die Luftfahrt), dann zählt der Berichterstatter nicht Schäfchen, sondern Spielerfrauen (letzter stand der Dinge: Zwei sind mit Sicherheit schon da, nämlich die Gattinnen der Königsblauen Asamoah und Böhme, Klara Bierhoff soll gesichtet worden sein. Die Bestätigung werden wir sicherlich morgen bekommen).

Aber seien wir nachsichtig mit den Männern vor Ort: Was sollen sie auch schreiben, wenn der Ball nicht rollt. Zehn, zwölf Stunden Flug, lange Tage ohne Einsatz im Stadion, aber den Chefredakteur im Nacken, der etwas sehen will für Flugpreis und Spesen im teuren Nippon. Da ist Phantasie gefordert und so ermittelt der findige Reporter, dass die Play-Station der Nationalspieler nicht an japanische Fernseher passt (hoffen wir, dass niemand vor lauter Verzweiflung zu einem Buch greifen muss – aber das wäre sicher auch ein hübscher Bericht: Das Buch auf dem Nachtschränkchen unserer Kicker-Asse. Vielleicht für Rudi Völler „Quo vadis“, für Olli Kahn „Die Angst des Torwarts vorm Elfmeter“ oder für Didi Hamann „Elf Freunde sollt ihr sein“).

Und schließlich haben wir unseren Berichterstattern vor Ort zu verdanken, dass wir jetzt nicht mehr glauben, Rudi Nationale würde den Seinen in der Trainingspause ein paar Yen in die Hand drücken und sie schnell zum Japaner schicken. Statt einmal Sushi-Spezial mit Fritten gibt es einen eigenen Koch. Dieser Koch hat die nach Informationen gierende und im Hotel herumschleichende Meute in seine Töpfe schauen lassen. Und was gab`s? Nudeln mit Rindfleisch in Burgundersoße, eigens aus Deutschland eingeflogen – vermutlich mit Flug Nummer LH 721.

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