Die schwatzgelb.de WM-Kolumne 2002 - Teil 3: Morgengrauen, Episode III - Die ganz private Fußballshow!
Während unser wohl geschätzter Redaktions-Kollege aus Berlin sich „Satan persönlich“ ins Haus geholt hat und einen „Premiere“ - Decoder sein eigen nennt, habe ich weiterhin darauf verzichtet und bin auf Gedeih und Verderb den öffentlich-rechtlichen Anbietern und vor allem der formidablen Abend-Show von r*n ausgeliefert.
Den WM-Auftakt mußte ich arbeitsbedingt ausfallen lassen. Was wäre ich gerne noch mal 18, besuchte die Oberstufe, würde meine Entschuldigungen selbst schreiben und würde in meiner damaligen Stammkneipe „Uni“ (die einzige Uni, in der man nicht studieren kann) jedes WM-Spiel im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verfolgen. Aber so mußte ich mir abends die großspurig angekündigte WM-Show ansehen. Das Wort „Show“ hätte mich warnen sollen. Doch in meiner grenzenlosen Fußballromantik rechnete ich einfach mit vernünftiger Berichterstattung, zumal Wonti- Poponti, alias Jörg „der Aufsichtsrat“ Wontorra, endlich ausgeschaltet worden war. Und nun muß ich Deutschlands einzigen sprechenden Pavian ansehen. Spiegel-Online Autor Stefan Kassner fällt zu Paul Breitner auch noch etwas ein: „Ich schwöre: Wenn der Breitner noch einmal den Kopf so semidebil zur Seite kippt und in die Kamera grinst, fahre ich nach Unterföhring!“ Herr Kassner, ich fahre mit!!
Gott sei Dank – aus SAT.1 Sicht – ist auch das noch steigerungsfähig. „Herri“ Faß und sein kongenialer Co-Kommentator „Bert“ Bender liefen beim Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft wieder einmal zu bekannter Höchstform auf. Die beiden merkten irgendwann wenigstens, daß das Spiel recht eindeutig war und unterließen ihre fachlichen Kommentare. Die Gesänge der Fans („Macht sie alle, schießt sie aus der Halle!“) geißelten sie dagegen als martialisch. Da sind wir aber froh, daß die beiden die ausländischen Gesänge nicht verstehen.
Der Wahnsinn hat Methode
Irgendwann drängt sich mir der Verdacht auf, daß dieser Wahnsinn Methode hat. Die WM-Rechte bekam die ARD nur, wenn sie „Herri“ Faß und „Bert“ Bender einsetzen würden. Gleichzeitig ließ sich die Senderfamilie (DAS Wort des Jahres gleich neben FIFA-Fußballfamilie) cleveres einfallen, um „Premiere“ nach oben zu bringen. r*n qualitativ noch übler machen, als es ohnehin schon war. Irgendwann kaufen die Leute schon „Premiere“, weil sie einfach die Nase voll haben. Der Plan geht bislang jedoch nicht auf, Premiere – jetzt zwar ohne „World“ im Namen, aber nichts desto weniger bekanntlich pleite. Aber Leo Kirch hat kurz vor Ultimo noch die WM-Rechte an eine Schweizer Tochter abgestoßen, so bleibt leider alles beim alten. Blatter & Co. konnten sich die Taschen voll machen und wir, ich meine den überwiegenden Rest der Nation, sitzen vor dem „schwarzen Bildschirm“. Spiegel-Online stellt da nicht ganz ernsthaft die Frage, warum ausgerechnet die „Bild-Zeitung“ nicht dagegen vorgeht. Aber keine Angst, „Bild kämpft für Sie!“ In diesem Fall halt für Herrn Kirch, damit muß man leben. So hat es doch ein gutes, daß die WM tagsüber ausgestrahlt wird und unsereins da arbeiten muß, wir kommen erst gar nicht in Versuchung, uns Satan ins Haus zu holen. r*n am Abend fördert zumindest die Verdauung und die Tore sieht man zwischen all den lustigen Bildern von Trainern, wichtigen Persönlichkeiten, Frisuren, hochwichtigen Ersatzspielern und allerlei anderen Sinnlosigkeiten auch noch.
Am Wochenende bekam ich dann endlich die volle Wucht des Pay-TV zu spüren, ich wollte Fußball gucken und konnte nicht. Nichts von den mit Spannung erwarteten Kamerunern, kein Bild der Iren, nichts über all die anderen Nationen, die eine WM immer ausgemacht haben. Einzig England gegen Schweden war zu sehen und mit diesem Spiel auch Fußballatmosphäre spür- und hörbar. Jedenfalls hörte und las man das nun überall. Allein, uns Öffentlich-Rechtlichen fehlt ja der Vergleich. Beim deutschen Spiel war es um mich herum so laut, daß ich von fehlender Atmosphäre nur wenig mitbekam, und das Auftaktspiel fehlt mir gänzlich. „Der Spiegel“ fand heraus, daß Dänemark für uns Deutsche theoretisch ungesehen bis ins Endspiel vorstoßen kann. ARD und ZDF haben die Dänen bislang nicht vorgesehen, wie soll man sich da ein Bild des möglichen Halbfinalgegners machen? Für alle Nationaltrainer Deutschlands eine grausame Vorstellung. Nun muß man Herrn Kirch jetzt auch mal in Schutz nehmen, für die Anstoßzeiten kann er ausnahmsweise mal nichts. Und das unsere Arbeitgeber nicht so selbstlos sind und uns einfach mal ein paar zusätzliche TV-Bildschirme ins Büro stellen, gehört zu den wirklich wichtigen Forderungen einer modernen (Dienstleistungs-)Gewerkschaft. Was will ich mit 4,5% mehr Lohn? Ich will Fußball satt und zwar live!
In der Mittagspause hatte ich dann Montag die Gelegenheit schlechthin, Brasilien spielte gegen die Türkei und die letzten 20 Minuten waren live zu sehen. Achja, da fällt mir ein, Rivaldo gehört gesperrt, forderte mein Tischnachbar. Doch in der FIFA- „Familie“ Blatters sind alle Schwalben dieser Fußballwelt zutiefst moralisch. Huch, da fordern wir doch mal schnell „Fairplay, please!“ Die FIFA hat inzwischen hart durchgegriffen und Rivaldo mit dem läppischen Trinkgeld von knapp 6.000,- EURO Geldstrafe belegt, das wird ihm sehr, sehr weh tun. Schließlich dürfte sich der brasilianische Durchschnittsverdienst weit darunter befinden.
Und abends gab es das ganze dann noch schön aufgewärmt bei r*n, die den brasilianischen Auftritt zu zelebrieren versuchten. Erst der Kick zwischen Kroatien und Mexiko. Ein dickes „Fairplay, please“ geht nun auch an Boris Zivkovic. Das war mal ein Foul, nach dem es sich wirklich gelohnt hätte, das Gesicht zu verziehen und etwas länger liegen zu bleiben. Ansonsten durfte man sich bei diesem Kick wieder anhören, wie schlecht die Bundesliga sei, weil doch so viele Kroaten in Deutschland spielen und diese dann so schlecht bei der WM auftreten. Wir alle kennen den Vergleich mit den Äpfeln und Birnen, nur Breitner und Welke offensichtlich nicht.
Dann durfte natürlich Italien gegen Ecuador nicht fehlen, Kommentator Laaser hatte immerhin den Spruch des Tages parat: „Die italienische Abwehr – stabiler als jede Nachkriegsregierung Italiens!“ Nun, da dürfte sicherlich selbst die saudiarabische Abwehr mithalten können.
Bringt mir die Zunge von Jörg Dahlmann
Und dann kam sie doch, die scheinsakrale Heimsuchung. Jörg Dahlmann kommentierte den als großen Schlager angekündigten Hit zwischen Top-Favorit Brasilien und der Türkei. Jeder der es miterleben mußte, weiß wovon ich spreche. Jörg Dahlmann brüllte nicht nur das für einen gebürtigen Gelsenkirchener gewöhnliche, unqualifizierte Zeug ins Mikro. Nein, er bemühte sich um deutlich mehr Selbstdarstellung. Eingeblendeten Torjubel aus Brasilien ahmte er nach, um seinen Zuhörern deutlich zu machen, wie sich das wohl in Deutsch anhören würde. In einer deutschsprachigen Fußball- Newsgroup wurde daraufhin schon zu Kopfgeld-Sammlungen aufgerufen.
Aber D*hlm*nn kann es noch schlimmer, wie er Dienstag Abend beweisen sollte. Das Spiel des Tages, Korea gegen Polen machte er zu seiner persönlichen (Horror-)Show. Das übliche Dahlmann´sche Geschrei eskalierte erneut, womit das Spiel einmal mehr zur puren Nebensache verkam. Ständig aufgeregte koreanische Mädchen, die angeblich alle den „Beckham Koreas“ liebten und nur wegen ihm so dramatisch ausflippten. Elend lange Einblendungen des Publikums vor einer Videoleinwand inklusive sinnfreier Kommentare. Die Zuschauer im Stadion blendete man auch dann und wann mal kurz ein, ohne dabei an die grandiose Choreo zu denken, die vor dem Spiel gelaufen war („We win 3:0“ und die Choreo war dazu noch in Bewegung!). Kreischende Jungfrauen sind für Herrn Dahlmann da scheinbar wesentlich interessanter. Die grandiose Stimmung im Stadion kam einigermaßen gut rüber, für den TV-Sender SAT.1 ist die Stimmung vor einer Videoleinwand jedoch um Längen wichtiger. Trauriges, gepeinigtes Fußball-Deutschland...
Am Ende der großartigsten Fernsehfußballshow aller Zeiten, gab es wieder den Kopfwackler inklusive Grinsen von Paul „dem gewendeten Maoisten“ Breitner. Wir freuen uns schon gewaltig auf die nächsten Abende mit SAT.1, zumal es nun schon Gerüchte gibt, „Premiere“ könne ARD/ZDF die Rechte nach der Vorrunde entziehen und dann selbst senden. Dann hätten wir die deutschen Spiele auf SAT.1.
Der Pferderiemen [tm] und die Iren
Die „Bild“ hatte am Dienstag noch etwas bekannt tolles zu bieten. Neben ihrem unnachahmlichen „Teuro- Feldzug“ ein Foto von dem Giganten Carsten Jancker und die Schlagzeile: „Japanerinnen verzückt – Ist bei Jancker alles so groß?“ Dazu fällt mir dann wirklich gar nichts mehr ein. Wer Carsten Jancker in Stefan Raabs großer Produktion „Der Pferderiemen“ gesehen hat, weiß doch eh Bescheid.
Und nun spielte Deutschland gegen Irland am Mittwoch um 13:30 Uhr, meine 2 Arbeitskollegen und ich besuchten Essens Innenstadt, um in einer mexikanischen Bar Fußball zu gucken. Kein Vergleich mehr zum Samstag, das Publikum war schon von Beginn an wesentlich kritischer und der Gegner stärker, gleichzeitig spielte Deutschland einfach schwächer als am Samstag. Ich halte noch immer jede Wette, daß die deutsche Nationalmannschaft am Samstag mit dieser Form sämtliche Gegner weggehauen hätte. So aber war Christian Ziege noch immer auf der Suche nach einer guten Flanke (die sucht er nun schon beinahe 10 Jahre lang), Carsten Ramelow leicht überfordert mit der ungewohnten Position und Carsten Janckers Augen offenbar nicht so groß wie der Rest von ihm.
Mirko Klose, der nach Auskunft von Harald Schmidt trotz polnischer Geburtsstätte (im ehemals deutschen Oppeln) besser deutsch spricht als sein Trainer Andy Brehme, traf erneut, aber es reichte einfach nicht. Am Ende produzierte die Abwehr das 1:1 und unser „Metze“ verlor den wichtigen Zweikampf gegen Neill Quinn, Linke und Ramelow decken wohl noch heute den freien Raum und der „kleine“ Keane netzte ein. Dazu dürfte die Einwechslung des konterstarken Oliver Bierhoff (Neuville ist zwar ein solcher, aber was soll´s) viel zu spät gekommen sein. Nein, Rudi, so wird das nix. Der wieselflinke Wahl-Monegasse muß einfach von Anfang an spielen, mit ihm hätten wir sicherlich 3:0 zur Halbzeit geführt. Gott sei Dank spielt Christian Ziege immer, so hat jeder andere deutsche Profi sein Alibi und wird nie schlechtester Akteur des Spiels. Und wer weiß, vielleicht lernt er ja doch eines Tages das Flanken, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.