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Milchmädchenrechnungen aus dem Süden: Wie sich eine Zeitung lächerlich macht

05.06.2020, 16:46 Uhr von:  CHS
Milchmädchenrechnungen aus dem Süden: Wie sich eine Zeitung lächerlich macht
Ob sie sich auch über den Artikel aus dem Süden austauschen?

Immer wieder passiert es, dass man sich als Hobbyschreiberling fragt, was in den Köpfen von Journalisten vorgeht. Neuestes Beispiel ist ein Artikel von Focus Online, der mit der reißerischen Überschrift „Zorcs Transfer-Schwäche kostet Borussia Dortmund schon über 200 Millionen“ daher kommt. Eigentlich ist der Text diese Worte nicht wert, aber man darf so ein Geschreibsel auch nicht so einfach stehen lassen. Zumindest kann ich das nicht.

Geht wieder einmal nach München

Die Einleitung vom Focus-Artikel (klicken auf eigener Gefahr) fängt schon einmal interessant an: „Der BVB verpasst wohl zum achten Mal in Folge den Bundesliga-Titel. Dies liegt einerseits an der Stärke des FC Bayern, andererseits aber auch an zahlreichen misslungen Transfers der Dortmunder Verantwortlichen.“ Es ist schon etwas lustig, dass man dort im Süden glaubt, dass man nur wegen der „hunderten“ von „fehlgeschlagenen Transfers“ nicht Meister wird. Neben allen möglichen Gründen (wenn man unser Forum fragt: z.B. falscher Trainer, falsche Spieler, falsche Torhüter, falsche Entscheidungen) ist doch der Hauptgrund: In München gibt es halt mehr Geld, damit kann man auch andere Klientel holen (soll jetzt keine Neiddebatte sein, es ist halt so). Zum Vergleich: Den aktuell teuersten Transfer des BVB mit 30,5 Mio. € (Hummels / die Werte hier stammen von TM), hat der FC Bayern bereits in der Saison 2009/2010 (Gomez mit genau 30 Mio. €) erreicht. Auch hätte man mit diesem Transfer schon Probleme, in die Top-10-Transfers von Bayern München zu kommen. Deren teuerster Spieler Hernandez bringt es auf die stolze Ablöse von 80 Mio. €.

Nach ein bisschen Lob für die Verpflichtung von Toptalenten kommt dann eine sehr interessante Einschätzung: „Während die Youngsters oft einschlagen, liegen Zorc und der BVB bei der Verpflichtung von gestandenen Akteuren sehr häufig daneben.“ Sicherlich, nicht jeder Transfer schlägt ein, aber die Aussage ist meiner Meinung nach unpassend. Von den Zugängen der Saison 2019/20 (immerhin 10 Spieler) zählen sechs Spieler zum Stammpersonal. Zwei weitere (Unbehaun und Raschl) sind als Lehrlinge im Kader und die Spieler Schulz bzw. Morey hatten gesundheitliche Probleme. Auch in der Saison davor (09 Spieler) waren sechs Spieler eigentlich Stammkräfte. Mit Hitz und Oelschlägel waren auch zwei Spieler dabei, die sowieso als Ersatzspieler geholt wurden. Einzig Balerdi kann man als Fehler ansehen. Lag also der BVB wirklich häufig daneben? Ganz nebenbei, auch nicht jede Verpflichtung von Talenten funktioniert. Hier kann man mal Gomez, Mor, Isak und Merino erwähnen.

War er wriklich ein Fehleinkauf? - Paco Alcacer

Die nächsten Sätze schlagen dann den Boden aus: „Ein Blick auf die vergangen vier Jahre verdeutlicht dies: André Schürrle, Mario Götze, Andrey Yarmolenko, Maximilian Philipp, Ömer Toprak, Abdou Diallo, Thomas Delaney, Nico Schulz und Paco Alcacer kosteten zusammen über 200 Millionen €. (...) All diese Akteure eint ebenfalls, dass sie zu keiner Zeit in Dortmund konstant gute Leistungen brachten oder dauerhaft Stammspieler waren.“ Ähm, zum einen ist die Kausalität falsch. Philipp, Diallo, Delaney und Alcacer waren Stammspieler. Dass sich die Wege wieder getrennt haben, hatte unterschiedliche Gründe. Philipp wollte mehr Spielpraxis haben und sah seine Felle in Dortmund davon schwimmen. Diallo wollte wohl wegen Hummels nach Paris. Und Alcacer spielte, wenn er fit war. Blöderweise war er das häufiger nicht. Trotzdem brachte er es in der vergangenen Saison auf 32 Spiele. Selbst in dieser Saison war er in 15 Spielen der Hinrunde auf dem Platz. Er durfte gehen, da er sich in Dortmund nicht wohlgefühlt hat und da man mit Haaland einen Ersatz geholt hat. Gerade bei Spielern wie Götze und Schulz sollte man auch nicht vergessen, dass diese sich mit gesundheitlichen Problemen herumärgern mussten. Bei anderen Spieler wie Yarmolenko und Toprak musste man halt feststellen, dass es nicht passte. Trotzdem waren sie häufiger im Einsatz beim BVB. Ein wirklicher Fehleinkauf war meiner Meinung nach wohl nur Schürrle, der in Dortmund nie ankam. Lustigerweise (wie auch bei Toprak) war das ein Spieler, den wohl der damalige Trainer wollte. Das war anscheinend ein Zugeständnis für den Trainer, da der wiederum Götze vorgesetzt bekam (ein Prestigeprojekt des Geschäftsführer Aki Watzke). Ob man da Zorc einen Vorwurf machen darf?

Wirklich ein Fehleinkauf? - Abdou Diallo kam für 28 Mio. €, war Stammspieler und ging für 32 Mio. €

Aber kommen wir zum zweiten Satz, wo von den Ausgaben für diese Spieler in Höhe von 200 Mio. € die Rede ist. Sicherlich, diese Spieler waren nicht billig. Aber das ist halt das Problem, wenn die abgebenden Vereine wissen, dass man genug Geld hat. Sobald man den BVB sieht, kommen da schon gleich ein paar Milliönchen dazu. Da möchte ich gerne mal an Toprak erinnern. Bekanntlich wollte der BVB ihn schon ein Jahr früher haben, denn seine Ablöseoption galt erst für die Saison 17/18. Da aber Bayer Leverkusen mehr als das Doppelte im Jahr 2016 forderte, verzichte man auf ihn ein Jahr lang und holte damals lieber einen gewissen Marc Bartra für nur 8 Mio. €. Natürlich hört sich 200 Mio. € nach ganz viel Geld an (was es ja auch ist), aber der Artikel vergisst zu erwähnen, dass auch diese Spieler beim Verleihen oder Verkauf Geld eingebracht haben. Mal auf die Einnahmenseite geguckt: Schürrle (1 Mio. €), Yarmolenko (20), Philipp (20), Toprak (2,5 plus Option), Diallo (32) und Alcacer (23) brachten bislang 98,5 Mio. € Einnahmen durch Transfers (Stand jetzt). Bis auf Schürrle und Toprak brachten diese Fehleinkäufe ungefähr das ein, was sie auch gekostet haben.

Kommen wir mal wieder zum Vergleich mit den Münchenern. Selbst da soll es Investitionen gegeben haben, die entweder finanziell oder auch sportlich nicht so ganz funktioniert haben. Hier ein paar Beispiele aus den vergangenen drei Spielzeiten (gut, bei der aktuellen sind noch fünf Spieltage zu absolvieren): Lucas Hernández, Michaël Cuisance, Philippe Coutinho, Fiete Arp, Álvaro Odriozola, Corentin Tolisso, Sandro Wagner, James Rodríguez und Sebastian Rudy. Ob das alles wirklich Transferfehler sind, das muss jeder für sich entscheiden (für mich sind sie das). Sicherlich, da waren ein paar Leihgeschäfte und ablösefreie Spieler dabei, trotzdem kommt man auf rund 171 Mio. €. Dieser stattlichen Summe stehen dann auch Einnahmen (ich komme laut jetzigem Stand auf 21 Mio. €) gegenüber. Trotzdem stellt sich die Frage, welcher Verein hat da mehr Geld in den Sand gesetzt?

Wessen (Transfer-) Bilanz ist schlimmer? Hasan Salihamidzic (2. v. l.) oder Michael Zorc (2. v. r.)?

Wenn man sich die aktuelle Saison anguckt, wird der BVB diesmal ein Transferminus von rund knapp 23 Mio. € einfahren. Dies ist aber beim BVB die Ausnahme. In der Regel gibt der BVB nur das Geld aus, was auch eingenommen wurde. Dazu passt eine Statistik von Transfermarkt.de: Demnach hat kein Verein aus der Bundesliga seit 2016/17 so viel Geld durch Transfers eingenommen wie der BVB. Zwar habe man fast 500 Mio. € ausgegeben, aber die Einnahmen beliefen sich auf 611,65. In München verbuchte man in der gleichen Zeit ein Minus von 117,45 Mio. €. Damit wurde man nur knapp von Leipzig (137,19 Mio. €) geschlagen.

Was bleibt, wenn man sich den Focus-Artikel durchliest? Eigentlich das Gefühl, dass man Lebenszeit vergeudet hat. Aber warum so ein Artikel? Hier kann man nur Vermutungen anstellen. Vielleicht ist in München zu wenig los und man nimmt den zweitgrößten Fußballverein aufs Korn. Oder man möchte von Fragen in München ablenken. Immerhin war der ehemalige Herausgeber des Focus, Helmut Markwort, auch zeitweise Aufsichtsratsmitglied des FC Bayern. Oder man hatte einfach noch Platz auf der Seite und versuchte, das damit zu füllen. Fakt bleibt aber, hier wird mit Aussagen gespielt, die entweder falsch sind oder thematisch zu weit am Thema vorbeigehen.

Sicherlich, nicht alles glänzt in Dortmund, aber die Transferbilanz der vergangenen Jahre zeigt aber, gerade bei den Verpflichtungen hat der BVB ganz viel richtiggemacht. Dabei ist es egal, ob man gestandene Spieler oder Talente holt.

So sehe ich das halt.

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