Warmlaufen

Zehn Jahre älter, kein bisschen weise

21.09.2018, 00:00 Uhr von:  Scherben
Spruchbänder gegen die TSG gehören zum Spiel dazu

Es ist eigentlich eine Binsenweisheit: Wie man miteinander spricht, hängt von der jeweiligen Situation ab. Beim Sex spricht man anders als in der Firma, beim Bier in der Kneipe spricht man anders als beim Kuchen auf Großmutters Couch, im Fußballstadion fallen andere Worte als beim Deutschen Turnfest. Je nach Umfeld stellen wir andere Aspekte unserer Persönlichkeit in den Vordergrund, manchmal sind wir kontrolliert und professionell, manchmal sind wir emotional und ausgelassen. Entsprechend bescheuert ist es, Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen: Wenn ich meinen bestem Freund sage, dass er manchmal ein ziemlicher Idiot ist, dann hat das offensichtlich eine andere Qualität, als wenn ich meinem Chef sage, dass er manchmal ein ziemlicher Idiot ist. Entscheidend ist nicht, was man sagt, sondern in welchem Kontext man es sagt.

Was so offensichtlich klingt, dass man darüber eigentlich gar nicht sprechen müsste, erhält eine andere Qualität, wenn es mal wieder Dietmar Hopp ist, der sich von Fangesängen im Stadion beleidigt fühlt. Grundsätzlich könnte das einem ja egal sein, und man würde sich fast etwas mitleidig fragen, welch bemerkenswerte Wichtigtuerei in deutschen Chefetagen gepflegt wird, dass man selbst nach zehn Jahren mit seinem Dorfverein in der Bundesliga immer noch jeden derben Spruch von der Tribüne auf sich persönlich bezieht und ihn nicht als Teil der Folklore abtut.

33 BVB-Fans sollen am Samstag zusätzlich ausgesperrt werden

Aber weil Dietmar Hopp halt Dietmar Hopp ist und das nötige Geld und die nötigen Kontakte besitzt, bleibt es nicht einfach nur dabei, dass ein älterer Herr wütender und grantelnder durchs Leben läuft, als er es eigentlich tun müsste. Nein, stattdessen suchen seine TSG und die lokalen Behörden Jahr für Jahr nach neuen Methoden, um die gegnerischen Fans mundtot zu machen. Dieses Mal wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um anhand der Videoaufnahmen vom letzten Gastspiel des BVB in Sinsheim sage und schreibe 33 Zuschauer zu identifizieren, die sich an denselben Schmähgesängen wie bereits vor zehn Jahren beteiligt haben. Diese Fans durften sich jetzt über Anzeigen und Hausverbote für das morgige Spiel freuen, samt allen beruflichen und privaten Konsequenzen, die solche Verfahren mit sich bringen. Man braucht beileibe kein Prophet zu sein, um zu erahnen, dass die vermeintlichen Beleidigungen morgen eher lauter als leiser ausfallen werden. Altersweisheit ist was anderes.

Ob Paco wieder für die entscheidenden Aktionen in der Schlussphase sorgt?

Das weitere Lamento darüber, dass sich auch staatliche Stellen über Gebühr mit solchen Kleinigkeiten befassen, sparen wir uns an dieser Stelle und verlieren stattdessen lieber noch einige Worte zum Sportlichen. Ein bisschen ratlos blickt man schon auf die bisherige Saison des BVB, auch weil sich zwei gänzlich verschiedene Lesarten anbieten. Einerseits sieht es auf dem Papier ganz gut aus: Sieben Punkte aus drei Spielen in der Liga, die erste Runde im Pokal überstanden, in Brügge mit einem Sieg in die Champions League gestartet. Viel besser hätte es natürlich nicht laufen können. Bloß war keiner der Siege wirklich überzeugend, im Gegenteil: Mindestens in Fürth und in Brügge war eine gehörige Portion Glück dabei, und selbst die relativ torreichen Erfolge gegen Leipzig und Frankfurt waren weitaus weniger klar, als die nackten Zahlen ausdrücken. Man braucht entsprechend nur sehr wenig Fantasie, um sich einen Saisonstart vorzustellen, der zu einer Laune geführt hätte, die nur knapp oberhalb von der in Gelsenkirchen liegen würde.

Andererseits kann man sich berechtigte Hoffnungen machen, dass aktuell eine Mannschaft zusammenwächst, die uns in der nächsten Zeit noch sehr viel Freude bereiten wird. Was Lucien Favre aktuell macht, erinnert ein wenig an die ersten Halbserien unter Jürgen Klopp: Man stabilisiert in einem ersten Schritt die Defensive, arbeitet dabei mit einem relativ klaren System und ohne viel Rotation in der Abwehr, und legt besonders viel Wert darauf, dass die Automatismen sitzen und die Mannschaft dadurch Sicherheit gewinnt. Erst danach wird verstärkt daran gearbeitet, dass man auch offensiv zuverlässig Gefahr ausstrahlt. Zumindest diese defensive Stabilisierung hat bisher wunderbar funktioniert. Aus der gefühlten Schießbude des letzten Jahres ist eine Mannschaft geworden, die nur wenige Großchancen zulässt und noch weniger Gegentore fängt. Das war exemplarisch auch in Brügge ganz gut zu sehen: Selbst in den Phasen, in denen uns der Gegner optisch einschnürt, springen für ihn kaum mehr Offensivaktionen als Fernschüsse und Flanken aus dem Halbfeld heraus. Das wird morgen gegen die offensivstarken Hoffenheimer auch wieder nötig sein.

Wenn einer weiß, was Schmähungen im Fußball bedeuten, dann Kevin Großkreutz

Wozu es dann am Ende reichen wird, ist fraglich. Der letzte Sieg in Hoffenheim stammt aus dem Dezember 2012. Oder, falls sich jemand der Altvorderen erinnert: 12:12. So komisch wie die Stimmung damals war, so komisch kann sie auch morgen werden, zumal unter den 33 Ausgesperrten auch die bekannten Vorsänger sein werden. Das letzte Wort sei daher einem der Torschützen von damals überlassen. Mit Blick auf die Konsequenzen der Schmähgesänge schrieb Kevin Großkreutz in einem Kommentar bei Instagram: "Ich wurde in GE, MG oder BO nur beleidigt. Bekommen jetzt alle ne Strafe? Nein, auch mit Recht nicht. Es gehört zum Fußball dazu. Es ist sogar geil." Recht hat er.

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