Unsa Senf

Die Polizei Dortmund hat abgewirtschaftet

11.12.2015, 21:00 Uhr von:  Ferdinand
Die Polizei Dortmund hat abgewirtschaftet
Polizei vor dem Spiel am Fanprojekt

In Dortmund gibt es ernsthafte Probleme, auch und gerade im Handlungsbereich der Polizei. Diese scheint einmal mehr ihre Anstrengungen auf Fußballfans im Allgemeinen und die Ultraszene im Speziellen zu bündeln. Der letzte Donnerstag hat gezeigt, dass die Wagenburgen auf beiden Seiten verfestigt sind. Ein Kommentar.

Mittlerweile ist es wohl der ganz normale Wahnsinn geworden, was die BVB-Fans rund um Spiele im Westfalenstadion erleben müssen. Bereits beim vergangenen Derby äußerten wir uns kritisch über die Polizeitaktik und die vorausgehende Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere da die Schalker Fanszene einen Boykott angekündigt hatte und folgerichtig nicht nach Dortmund reiste. Nun sind die Fans sicherlich nicht ganz unschuldig, aber mittlerweile malt die Polizei Dortmund fast schon regelmäßig Schauergeschichten an die Wand, um Groß- und Größteinsätze zu rechtfertigen. So ließ man sich auch zum Spiel gegen PAOK Saloniki nicht lumpen und fuhr bereits am Vorabend Bereitschaftspolizei auf, als ständen die Chaostage von Hannover an. Trotz der Vorfälle in Thessaloniki blieb es den ganzen Mittwoch über ruhig.

Auch am Spieltag selbst gestaltete sich der Vorlauf der Anreise recht ruhig. Die als problematisch identifizierten Fangruppen wurden wieder in Manndeckung genommen und bewegten sich recht störungsfrei zum Stadion. Auffällig war hierbei nur, dass es immer wieder Beleidigungen von offensichtlich gelangweilten Hundertschaften in Richtung der Fans gab. Vor dem Westfalenstadion kam es dann zu einer kleineren Rangelei, die den ersten Anlass bot, hart durchzugreifen. In diesem Zuge bekam ausgerechnet ein Mitarbeiter des Dortmunder Fanprojektes direkt von einem Gesetzeshüter von hintenrum einen vollen Schlag mit der Faust ins Gesicht. Wer Freund und Feind ist, spielte bereits jetzt offensichtlich keine Rolle mehr. Hauptsache, es war etwas los.

Auch der Rückweg gestaltete sich zunächst ruhig. Die Griechen nutzten ohne Umstände die bereitgestellten Busse und die BVB-Fans rückten ihres Weges ab. Überraschend war nur die kurze Blocksperre für die Gästefans. Die meisten Fans hatten sicherlich erwartet, dass der Gästeblock erst geöffnet würde, wenn die Fans der Borussia abgezogen sind, aber völlig konträr der vorherigen Panikmache gab es nur eine 15-minütige Sperre. Grundsätzlich sind Blocksperren sowieso keine schöne Erfindung, aber dass man bei einem solchen Risikospiel auf diese Maßnahme mehr oder weniger verzichtet, mutet schon komisch an. So war das Feld bereitet, dass sich die Fangruppen durchmischen konnten.

Die Polizei begleitete die drei benannten Ultra-Gruppen TU, Jubos und DES jedenfalls bis zum U-Bahnhof Westentor in einer von Seiten der Fans recht entspannten Atmosphäre, wie es uns von mehreren Unbeteiligten bestätigt wurde. Analog zum Derby war es den eingesetzten Beamten anscheinend vollkommen neu, dass die Fans auch die U-Bahn nehmen könnten und schon dort gab es die ersten Diskussionen über den weiteren Verlauf des Weges.

Die Ultras versuchten dort geschlossen in eine Bahn zu gelangen. Polizeibeamte, die zur Sicherung in der U-Bahn eingesetzt waren, wurden durch Schläge und Tritte aus der Bahn gedrängt. Aufgrund der geringen Kapazität von 2 Waggons der Bahn passten nicht alle Ultras in die Bahn und blockierten so die Türen. Eine Abfahrt der Bahn wurde hierdurch unmöglich. Es folgte die Aufforderung eingesetzter Polizeibeamter, die Türen frei zu halten und so die Abfahrt zu ermöglichen. (Polizeibericht)

Das ist insofern richtig, als dass die Fans in die U-Bahn drängten und es sehr eng wurde. Von gezielten Übergriffen war aber nichts zu sehen. Hinzufügen muss man im Übrigen, dass beim Derby von Seiten der Polizei dem Anschein nach überhaupt kein Anlass gesehen wurde, die U-Bahn zu begleiten — wie zuvor bei allen anderen Spielen. Obwohl die Fans zusammenrückten und die draußen Verbliebenen noch hineingepasst hätten, weigerten sich die Polizisten, die Türen freizugeben.

Schlagartig verließen die Ultras die Bahn wobei es erneut zu Übergriffen auf Polizeibeamte durch Schläge, Tritte sowie den Einsatz von Reizgas kam. Viele der Ultras vermummten sich zudem. Polizeibeamte setzten zur Gegenwehr Pfefferspray und den Einsatzmehrzweckstock ein. (Polizeibericht)

Diese Formulierung verkennt komplett Ursache und Auswirkung. Nachdem Zureden nicht half, entschlossen sich die Ultras, nicht die U-Bahn zu nehmen und stattdessen am Bahnsteig zu bleiben. Entgegen der Darstellung war das aber keine plötzlich geheime Absprache über Telepathie, sondern wurde lautstark angesagt. Wenn dann einige Polizisten aus den Türen treten, andere aber stehenbleiben, kommt es zwangsläufig zu einem Engpass. In dieser Situation verließen dann einen eingesetzten Beamten anscheinend die Nerven und er schlug einem Fan mit der Faust direkt ins Gesicht. Daraufhin entwickelte sich die erste handfeste Auseinandersetzung, bei der beide Seiten nicht zimperlich miteinander umgingen und die Polizeibeamten auch Pfefferspray im U-Bahnhof verteilten. Als sich die Situation gerade zu beruhigen begann, schlug erneut ein Beamter einem Fan aus dem Nichts mit der Faust ins Gesicht, was die Lage dann zum Eskalieren brachte.

Interessant ist dabei übrigens, dass mehrere Fans gesehen haben, wie die eigenen Kollegen diesen Polizeibeamten unter vollem Körpereinsatz zurückdrängen mussten und versuchten, ihn zu beruhigen. Doch da war das Fass schon übergelaufen und es kam zu relativ heftigen Szenen auf beiden Seiten. So wurde ein Fan beispielsweise am Kopf durch einen Schlagstock getroffen, so dass er bewusstlos zu Boden ging. Auch Frauen, die unbeteiligt an der Seite standen, bekamen den Schlagstock zu spüren. Auf Fanseite fielen bei einigen wenigen nun auch alle Hemmungen und es wurde sich heftigst gewehrt. Nichtsdestotrotz muss man festhalten, dass die direkte Gewaltanwendung von der Polizei ausging. Das passt zu mitgehörten Gesprächen von Bereitschaftspolizisten im Stadion, die sich beklagten, dass nichts los sei und sie gar nicht hätten kommen brauchen, um sich hier zu langweilen. In der Folge verließen die Fans den U-Bahnhof, da viele durch den Pfeffersprayeinsatz bereits Probleme mit dem Kreislauf bekamen.

Kurz darauf wurde einer der Helme als Wurfgeschoss von einer oberhalb gelegenen Ebene gezielt auf die sich darunter befindenden Polizisten geworfen. Es war reiner Zufall, dass hierbei niemand getroffen wurde und zu Schaden kam! (Polizeibericht)

"...auf Seiten der Polizei" möchte man hinzufügen. Denn zu diesem Zeitpunkt waren schon eine Reihe von Fans deutlich sichtbar zu Schaden gekommen. Die eingekesselten Fans bekamen dann auch die ganze Möglichkeit der polizeilichen Machtspielchen zu spüren. So kündigte ein Zivilbeamter an: "Gleich bekommt ihr richtig." Die Eingekesselten warteten derweil auf den verständigten Anwalt und kommunizierten, dass sie erst unter dem Beisein des Anwalts der Personalisierung Folge leisten wollten. Dies führte dann zur Ansage: "Wir können die Maßnahme auch anders durchziehen, hier wird nicht gewartet," während sich die Einsatzbeamten wieder demonstrativ ihre Handschuhe anzogen. Desweiteren wurde den BVB-Fans verboten, die Maßnahme zu filmen, um zu ihrem Schutz die Vorgänge zu dokumentieren.

Polizei brettert über den Bürgersteig
Währenddessen traf weitere Verstärkung ein, die teilweise mit Karacho über den Bürgersteig der Kampstraße bretterte, weil die Straße wohl nicht spektakulär genug gewesen wäre. Schlechte amerikanische Krimis lassen grüßen. Darunter muss auch Einsatzleiter "Ed" Freyhoff gewesen sein. Mittlerweile war also echte polizeiliche Prominenz vor Ort, die aber nicht zur Klärung der Situation beitrug, sondern nach Berichten von dialogbemühten Personen dafür sorgte, dass sich eben dieser Dialog noch schwieriger gestaltete. Das passt zu einem Mann, dessen Arbeitsstil bei den Netzwerk"partnern" der Polizei beschönigend als undiplomatisch beschrieben wird.

So werden immer wieder Absprachen mit dem Verein in den Wind geschlagen, Meinungen von fannahen Institutionen ignoriert und aufgeheizte Lagen — wie beim Derby — noch weiter angestachelt. Eben diese Einsatzleitung beschließt beispielsweise in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, hochgerüstete Einheiten direkt an den Mundlöchern der Südtribüne zu positionieren — ohne irgendeine Rücksprache. Die gleiche Einsatzleitung verbietet dann gelegentlich den BVB-Ultragruppen die Nutzung der U-Bahn für den Weg zum oder vom Stadion und verursacht damit ein ordentliches Verkehrschaos in der Dortmunder Innenstadt. Im Nachhinein wird dann von einem "unangemeldeten Derbymarsch" gesprochen.

So blieb den Fans am Donnerstagabend nichts anderes übrig, als auf das Fanprojekt und den Anwalt zu hoffen. Schlussendlich konnte es dann irgendwann mit der Personalisierung losgehen, eingeleitet durch die Lautsprecheransage: "An diesen Durchlassstellen können sich vorrangig Frauen, Jugendliche und Kinder melden und werden dort bevorzugt behandelt. Sowie Verletzte."

Immerhin hatte man auf Seiten der Polizei also doch wahrgenommen, dass es durchaus verletzte BVB-Fans gab. Mittlerweile hat die Polizei Dortmund auch ihre Durchsuchungsergebnisse präsentiert: Neben tatsächlich fragwürdigen Gegenständen sind darunter auch Lederhandschuhe oder Sturmhauben (und eben nicht -masken), die bei kalten Temperaturen nicht nur Ultras zu tragen pflegen.

Schlussendlich hat die Polizei ihren Anlass gefunden, endlich die ganze Dortmunder Ultra-Szene zu verteufeln. Schon die Pressemeldung nach dem Auswärtsspiel in Griechenland (!) zeigte die gewollte Richtung auf. Dass die Szene auch immer wieder Steilvorlagen dafür bietet, ist unbestritten und manches Fettnäpfchen wird zielsicher mitgenommen. Das kommt der Dortmunder Polizei anscheinend gerade recht, die bei vielen gesellschaftlichen Themen in Dortmund nach dem Motto "Augen-zu-und-durch" operiert, damit versagt, und im Fußball und mit den Ultras ihr Profilierungsfeld gefunden hat.

So konnten sich zahlreichen Zeugenberichten nach auch beim letzten Derby wieder einmal Mitglieder der Gelsenszene und der Borussenfront nahezu ungehindert frei in Dortmund bewegen. Das passt zu einer Polizei, die seit letzter Saison ein Verfahren wegen versuchter Körperverletzung vorantreibt, nachdem im Westfalenstadion Bananen in Richtung von Manuel Neuer geworfen worden waren — zumindest wenn Ultras diese warfen. In weitaus ernsteren Fällen zeigt sich die Behörde dann aber auf dem rechten Auge blind und dem rechten Ohr taub.

Mit welchem Einsatz die Polizei unterdessen versucht, gegen Fußballfans vorzugehen, wird auch an jenem Beispiel deutlich: Just endete ein Verfahren gegen einen BVB-Fan mit Freispruch, nachdem die Polizei die Ermittlung gegen ihn einzig und allein aufgrund folgender Zeugenaussage aufgenommen hatte: „Da war einer mit roten Haaren.“ Richter, Anwalt, (ungehörte) Zeugen und Staatsanwaltschaft reisten an, beschäftigten sich mit dem Fall und nach 20 Minuten war alles ob der eindeutigen Sachlage beendet. Gekostet hat dieser polizeiliche Ehrgeiz den Steuerzahler Geld und die Justiz dringend benötigte Zeit, genutzt hat er gleichzeitig niemandem. Die Liste solcher schikanierender Beispiele ließe sich fortsetzen und zumindest Polizeipräsident Lange sollte da wohl lieber auf den Weihnachtsmann vertrauen:

"Ich vertraue darauf, dass die Ermittlungen zu beweissicheren Strafverfahren und rechtskräftigen Verurteilungen dieser Kriminellen führen werden." (Polizeibericht)

Vorangetrieben werden solche Anstrengungen durch szene(un)kundige Beamte, die im luftleeren Raum operieren statt das Gespräch mit ihren eigentlichen Netzwerkpartnern zu suchen. Lieber zeigt man unter der Woche Präsenz auf dem Arbeitsweg von bekannten Mitgliedern der Ultragruppen. Der einzige szenekundige Beamte, der in Dortmund noch Gehör in der Szene fand, wurde übrigens — Gerüchten zufolge — wegen „zu großer Fannähe“ wegbefördert. Stattdessen hat man szenekundige Beamte, die versuchen, sich als harter Hund irgendeine Bedeutung in der Polizeihierarchie zu erkämpfen — und dabei aber in der Nahrungskette viel zu weit unten stehen, um irgendeinen Einfluss zu haben. Auch das hat der letzte Abend wieder deutlich aufgezeigt.

Das alles passt zu einem Dortmunder Polizeipräsidenten, der sich hinstellt und behauptet, alle erteilten Bereichsbetretungsverbote der Polizei Dortmund seien rechtlich unstrittig, obwohl seine Behörde bereits zahlreiche solcher Verfahren verloren hat. Der öffentlichkeitswirksam den Kinderwagen einer Flüchtlingsfamilie die Treppe runterträgt, ansonsten aber zulässt, dass seine Beamten — „entgegen der Empfehlung der Bundespolizei, unter Einsatz von Pfefferspray und zähnefletschenden Hunden [...] einem Häuflein Nazis den Weg durch die Bahnhofshalle, vorbei an bis dahin absolut friedlichen Gegendemonstranten“,— freikämpfen.

Gestern nun, so scheint es, ging es wieder einmal um Politik in eigener Sache. Dazu passt, dass die Polizei Dortmund ihren Pressebericht "sponsored" bei Facebook geteilt hat. Man muss wohl kein Schelm sein, um an eine Kampagne um die Deutungshoheit zu glauben. Dazu passen auch die vielen klaren Aussagen zu einem laufenden Verfahren — bei den Vorfällen rund um das Fanprojekt nach dem Mönchengladbach-Spiel war man deutlich wortkarger.

Es ist eine Polizei, der augenscheinlich bei Großlagen nicht viel gelingt und die den Fußball entdeckt hat, um auf einfache Weise Presse für sich zu machen. Fußballfans haben (natürlich auch mit ordentlicher Selbstbeteiligung) keine vergleichbare Lobby in der Presse und Gesellschaft, und so kann der schwarze Peter schnell verschoben werden. In den Pressemeldungen wird auf jeden Fall nach außen keine kritische Aufarbeitung der eigenen Tätigkeit transportiert. Das ist eine Wagenburgmentalität vom Allerfeinsten, wie sie sonst auch den Ultras — teilweise zu Recht — vorgeworfen wird. Die vergangenen Vorfälle haben aber gezeigt, dass bei der Dortmunder Polizei einiges schief läuft. Selbst die Bundespolizei macht im Gespräch kaum einen Hehl daraus, dass die Zusammenarbeit mit den Dortmunder Kollegen durch Meinungsverschiedenheiten geprägt ist. Es ist etwas faul in Dortmund, und wieder einmal ist der Fußball das Brennglas, das dies beleuchtet.

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