Eua Senf

Meine Liebe

25.05.2013, 09:09 Uhr von:  Gastautor
Meine Liebe

ich weiß, dies ist eigentlich nicht der richtige Zeitpunkt, um miese Stimmung zu verbreiten. Schließlich bist du gerade in bester Laune. Überallwo du auftauchst wird pure Euphorie versprüht. Alle sind aufgeregt und über die Grenzen des Landeshinaus freut man sich für dich und auf das große Spiel. Bekanntlich gibt es für einige Dinge jedoch nie denrichtigen Zeitpunkt, um sie anzusprechen. Und da mich seit Tagen etwas bedrückt, lasse ich es jetzt einfach heraus.

Wie du weißt, sind wir seit Jahren unzertrennlich. Unsere Beziehung begann in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern – damals als alles um dich herum noch etwas gemütlicher war. Abgesehen von kurzen Unterbrechungen stand ich dir seitdem immer zur Seite. In guten wie in schlechten Zeiten. Dabei erinnere mich gerne an unsere Anfangszeit zurück. Nee, was hatten wir einen Spaß. Zu Beginn war ich immer bei dir auf der Südtribüne im guten alten Block 13. Dort, wo dein Herzschlag am besten zu spüren war. Stundenlang habe ich mit meinen Kumpels regelmäßig in aller Frühe in der Schlange bei der Druckerei Röhr am Borsigplatz angestanden, um Karten für deine Spiele zu bekommen. Dafür habe ich sogar die Schule geschwänzt. Zum Glück hatte ich teilweise einen Deal mit meinem Musiklehrer, dem ich immer Karten für dich mitbringen sollte. Und Apropos Musik. Songs wie den Biene Maja oder den Pipi Langstrumpf-Song, der in den letzten beiden Jahren wieder so beliebt war, hätte es ohne mich und meine Kumpels auf der Süd nie gegeben. Die haben wir nämlich erfunden. Auch wenn uns das jetzt in meinem Alter vielleicht etwas peinlich ist. Aber immerhin, wir haben dir unseren Stempel aufgedrückt, der sich bis heute positiv auswirkt. Wie auch immer. Zusammen hatten wir eine tolle Zeit und nicht selten habe ich dich auch zu Auswärtsspielen begleitet. Mit der Bahn, mit dem Bus oder zu fünft zusammengequetscht im alten Audi 80 meines Kumpels – womit auch immer. Ob Sieg oder Niederlage, das war mir egal. Hauptsache wir waren zusammen. Für das Champions League-Finale 1997 hatte ich leider keine Karte bekommen. Damals empfand ich dies aber gar nicht so schlimm, denn ich wusste, dass es noch viele tolle gemeinsame Ereignisse für uns geben wird.

So kam es dann auch. Nach Jahren auf der Süd wechselte ich mit einem Teil meiner Freunde in die Südwest-Ecke. Dort sitzen wir dank unserer Dauerkarte auf unseren festen Plätzen mittlerweile seit fast zehn Jahren. Spiel für Spiel und Saison für Saison. Nach der bekannten harten Zeit, auf die ich jetzt gar nicht weiter eingehen möchte, folgten in den beiden vergangenen Jahren, endlich eine Zeit der Triumphe. Persönlich empfand ich diese Zeit wie eine Wiedergutmachung, eine Art des Dankes für meine langjährige Treue, der in Berlin vergangenen Jahres mit der Demütigung des größten sportlichen Rivalen seinen Höhepunkt fand.

Dieser Höhepunkt kann in diesem Jahr sogar noch gesteigert werden. Hast du doch die Möglichkeit historisches zu vollbringen. Dies ist etwas Wunderbares. Ein Traum. Leider ist es jedoch so, und jetzt komme ich endlich zum Punkt, dass mich trotz dieses fantastischen Ausblicks seit Tagen etwas bedrückt und mich ein Gefühl gemischt aus Wut und Eifersucht beherrscht. Der Grund hierfür ist naheliegend. Solltest du nämlich am Samstag den vielleicht größten Triumph deiner Geschichte einfahren, werde ich persönlich nicht bei dir sein können. Und das ärgert mich. Ehrlich gesagt, fühle ich mich sogar ein wenig betrogen. Nicht, weil ich nicht rechnen kann und mir nicht bewusst war, dass ich trotz Dauerkarte und Vereinsmitgliedschaft nicht die größten Chancen auf eine Karte gehabt hätte. Nein, mich enttäuscht vor allem die Art und Weise, wie du in den letzten Wochen mit mir umgegangen bist. Ich weiß nicht, ob es dir überhaupt bewusst ist, aber du hast mir mehr als einmal ins Gesicht geschlagen.Zuerst mit deinem vermeintlich gut gemeinten 5 Euro-Gutschein für deinen Shop. Sorry, aber du glaubst doch nicht wirklich, dass mir nicht bewusst ist, dass du mir dadurch noch mehr Geld ablupfen willst, wie eine hinterhältige Ehefrau ihrem Gatten die Kreditkarte entwendet. Noch schlimmer empfand ich dann deine Plakate und Anzeigen mit der Aufschrift „Unsere Fans sind Königsklasse“. Am liebsten wäre ich bei einer Nacht- und Nebelaktion auf die B1 gegangen, um deine Plakate mit dem einem Sternchen zu versehen: *für einige unserer Fans gilt dies aus organisatorischen Gründen leider nur bis zum Halbfinale.

Dabei habe ich überhaupt kein Problem damit, dass du dich mit der Liebe, die ich dir entgegenbringe brüstest. Ja, dass du sie in deinen Markenkern miteinbeziehst und sie zum Teil deiner Corporate Identity machst und damit sogar Geld verdienst. Ich frage mich nur echt, wenn ich nicht im Moment deines größten Erfolges bei dir sein darf, was bin ich dir dann überhaupt wert? Ganz ehrlich, mich ärgert es maßlos, dass du dir nicht mehr Mühe gegeben hast, um mich mit auf deine Reise zu deinem vermeintlich größten Erfolg zu nehmen. Und noch mehr ärgert es mich, wenn ich sehe, dass du mich teilweise einfach ausgetauscht hast. Ausgetauscht gegen irgendwelche Lover, die immer nur um dich werben, wenn du an der Sonne bist, wenn du im Rampenlicht stehst. Menschen, die dich überhaupt nicht richtig kennen. Die dich nur ausnutzen, um auf deine Kosten eine gute Party feiern zu können. Das erkenne ich schon allein an ihren unqualifizierten und von Nichts-Wissen trotzenden Kommentaren auf Facebook. Das höre ich von bekannten Fanclubs, bei denen sie in den letzten Tagen um Mitfahrgelegenheit gebeten haben und wo sie auf die Frage nach ihrem letzten Stadionbesuch keine Antwort kannten, da sie sich nicht mehr erinnerten. Du kannst diesen Leuten in der kommenden Saison ja mal eine Reservierung in Höhe von 40 Euro für ein Spiel gegen vermeintlich uninteressante Gegner aus der Autobauer- oder Puppenkistenstadt schicken. Ich wette mit dir, dass so gut wie niemand von ihnen dieses Angebot auch annehmen wird. Sorry, aber meiner Meinung nach hätte keine einzige Karte für das Finale in den freien Verkauf gehen dürfen. Dann wären auch nicht so viele Karten bei eBay oder dubiösen Ticketvermarktern gelandet. Dann wäre ich auch nicht enttäuscht gewesen. Hätte ich doch gewusst, dass jemand bei dir ist, der es genauso verdient hat, wie ich.

Mir wirst du dagegen in den kommenden Wochen wiedereine Rechnung schicken. Schon jetzt habe ich ein flaues Gefühl bei dem Gedanken im begleitenden Anschreiben zu lesen, dass „wir“ zusammen auf deinen größten Triumph zurückblicken und du dich für meine Treue bedankst. Jetzt, wo ich weiß, dass ich mir von dieser Treue nichts kaufen kann und sogar austauschbar bin, sehe ich das alles mit etwas anderen Augen. Teilweise sogar sehr emotionslos. Selbstverständlich werde ich wie in den Jahren zuvor wieder meine Überweisung tätigen. Werde ich weiter zu dir stehen und dich begleiten. Egal wohin es geht. Ich möchte jedoch, dass du weißt, dass es nie mehr so wie früher sein wird. Sei mir nicht böse, aber so ist es nun mal, wenn man das Gefühl hat, das Echte Liebe nur eine einseitiges Gefühl ist. Ich wäre dir auch dankbar, wenn du dir in Zukunft deine Phrasen über Liebe, Treue und Verbundenheit sparen würdest. Davon hast du aktuellkeine Ahnung mehr.

Für Samstag wünsche ich dir von ganzen Herzen natürlich trotzdem alles Gute. Mit einem gewissen Grad an etwas mehr Nüchternheit werde ich mich unter das gewöhnliche Volk mischen und dir wie gewohnt die Daumen drücken. Trotzdem hoffe ich, dass dir eines Tages wieder bewusst wird, was du an mir hattest. Ob du willst oder nicht, es wird auch wieder schlechtere Zeiten geben und dann wirst du mich wieder brauchen. Lass dich feiern, genieße den Moment, aber bleibe bitte auf dem Boden.

geschrieben von Gastautor

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