Eua Senf

Scheiß Persönlichkeitsrechte

11.10.2002, 00:00 Uhr von:  Gastautor
Scheiß Persönlichkeitsrechte

Neulich in vier Jahren. Deutschland ist gerade Weltmeister geworden. Dank ihres überragenden Torhüters vom FC Bayern blieben sie während des gesamten Turniers ohne Gegentor. Im Endspiel gegen Brasilien hält er im Elfmeterschießen 5 Elfer und verwandelt selbst den entscheidenden zum Sieg. Er wird zum besten Torhüter und Spieler des Turniers gewählt.

Anschließend wird er Europas Fußballer des Jahres und dann auch Weltfußballer des Jahres 2006. Ihm wird das neu geschaffene Bundesverdienstkreuz aus Platin mit Brillianten und Mondgestein verliehen. Er ist Werbeträger für alle Produkte, die man kaufen kann, außer für Tampons und Schönheitscremes. Er ist der zweitreichste Mensch Deutschlands. Nur Dieter Bohlen ist nach Veröffentlichung seiner fünften Biographie ?Mein flotter Dreier mit Inge Meysel und Elisabeth Flickenschild? ist etwas vermögender. Aber auch nicht meht lange.

Wochen später

Ich stehe im Wohnzimmer und sehe meinem Sohn Max und seinen 2 Freunden Jakob und Steven durch das dreifach verglaste Wohnzimmerfenster beim Fußballspielen im Garten zu. Es ist ein wunderschöner Tag, keine Wolke am strahlendblauen Himmel, der Wind spielt mit dem leuchtenden Grün der Bäume. Mein Sohn steht im Tor und sein Mund steht nicht still. ?Er wird doch nicht..??, fährt es mir jäh durchs Hirn. ?Ich hab?s ihm doch unter Androhung der fürchterlichsten Strafen verboten.? Meine Nackenhaare richten sich auf, eine eiskalte Hand umschließt mein Herz wie einen Tennisball. Ich friere plötzlich.

Ich will zur Terassentür rennen, doch meine Beine sind wie mit Blei ausgegossen. ?Er singt?, sage ich mir, ?oder er erzählt einen Witz?. Aber ich glaube es selbst nicht. Ich bewege meine tonnenschweren Glieder Richtung Tür, mit kurzen Schritten, wie bei einem Deliquienten, der auf dem Weg zum Elektrischen Stuhl, sein jämmerliches Leben um einige Sekunden verlängern will. Nach mehreren Ewigkeiten erreiche ich die Tür und drücke mit zitternder Hand die Klinke. Ein eisiger Luftzug umströmt meinen schweißtriefenden Körper. Und dann höre ich die Stimme meines Sohnes:

? Rosicky umspielt seinen Gegenspieler, geht alleine aufs Tor zu, zieht ab. Aber Oliver Kahn kann den Schuss mit einem phantastischen Reflex über die Latte lenken!?

Totenstille. Das Singen der Vögel ist jäh verstummt. Eine dunkle Wolke verhüllt plötzlich die Sonne. Die Wolke hat die Form eines Totenkopfes. Die Luft riecht nach Ozon. Ich meine auch einen leichten Schwefelgeruch wahrzunehmen. Der Wind interessiert sich nicht mehr für die brauen Blätter. Hastig schaue ich in den Nachbargarten. Klaus ist auf der Arbeit. Ulla geht um diese Zeit immer Einkaufen. Niemand da. Keiner hat was gehört. Aber die hätten auch nichts weitergesagt. Oder doch? Wem kann man heute noch trauen. Der Nachbar zur anderen Seite ist erst kürzlich eingezogen. Ist da nicht ein Schatten hinter dem Rhododendron? Diese Ratte. Der hat einen Bayernwimpel am Rückspiegel seines BMWs. Hab gestern noch ein Bier mit ihm getrunken. Mir wird übel.

Mein väterlicher Beschützerinstinkt gewinnt langsam die Oberhand. Mein Herz rast nun mit der Frequenz einer Nähmaschine. Ich stürme auf den Rasen, greife einen zufällig daliegenden Schraubendreher, packe mir den Ball, zersteche ihn, trampel drauf rum bis er die Größe eines Bierdeckels hat. Ab damit in die Kompostkiste, unter die faulenden Gladiolen vom letzten Hochzeitstag.

?Bakterien, malocht wie ihr noch nie im Leben malocht habt. Bitte!? Ich ramme das ?Fußball spielen verboten?-Schild in den Rasen, reiße im Vorbeilaufen meinem Sohn die Kappe vom Kopf und setze sie Jakob auf. (?Der mit der Kappe wars!?). Ich schmeiße die beiden Jungs über den Zaun. ?Lauft nach Hause. So schnell wie ihr könnt. Und dreht euch nicht um!? Mit Max unterm Arm renne ich ins Haus. Rolläden runter, alle Fenster zu. Langsam beruhigt sich mein Puls auf 180. Jetzt können wir nur noch warten. Ich weiß jetzt, wie sich jemand in der Todeszelle fühlen muss.

Wir warten drei Tage. Nichts passiert. Einmal klingelt es. Aber es war nur der Zeitungsbote, der immer den Ciccer bringt. Die Fußballfachzeitung musste sich umbenennen, da ein Torwart seine Persönlichkeitsrechte gefährdet sah, weil der Name des Fachblattes mit dem gleichen Buchstaben anfing wie sein Nachnahme. 3 Fantastillionen zahlen oder Namen ändern. Ergebnis siehe oben.

Schwein gehabt. Keiner hatte was gehört. Das normale Leben kann wieder beginnen. Mein Sohn spielt kein Fußball mehr.

Geschrieben von Tomix

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