Spielbericht Profis

Den letzten Rekord um Haaresbreite verpasst

19.12.2010, 19:39 Uhr von:  SSC
Barrios kanns nicht glauben...
Barrios kanns nicht glauben...

Nach dem bitteren Europapokalaus in Sevilla sollte in Frankfurt der endgültige Eintrag in die Geschichtsbücher gelingen und bereits ein Punkt hätte gereicht, um (dann aufgrund des Torverhältnisses) die beste Hinrunde der Bundesligageschichte einzufahren. Am Ende gelang es einer erschöpften und glücklosen Borussia aber nur noch, die beste Hinrunde der Vereinsgeschichte unter Dach und Fach zu bringen.

14 Siege aus 16 Partien hatten ein komfortables Punktepolster vor sämtlichen Konkurrenten entstehen lassen, das Franz Beckenbauer wohl als Weltrekord in der Türkei beurteilt hätte. 51.500 Zuschauer wollten sich das Spektakel nicht entgehen lassen und hatten sich eine Eintrittskarte gekauft – dass nicht jeder (pünktlich) den Weg ins Stadion gefunden hatte, ließ sich jedoch mühelos an den z.T. erheblichen Lücken in den beiden Stehplatzbereichen erkennen.

So hatte der Tag denkbar schlecht begonnen. Der massive Schneefall, der bereits tags zuvor für zahlreiche Vollsperrungen gesorgt hatte, war vielen Fans zum Verhängnis geworden. Sie hatten sich auf die falschen Bahnverbindungen verlassen, mussten sich auf endlose Umwege und Verspätungen gefasst machen. Andererseits wird sich die Trauer ob des verpassten Spiels in Grenzen gehalten haben – weder gab es ein nennenswertes Fußballspiel zu sehen (nur Taktikfüchse dürften sich so richtig wohl gefühlt haben), noch hätte man sich das Verhalten der Sicherheitskräfte und eigenen Fans gefallen lassen dürfen.

Erst in der zweiten Halbzeit war der Gästeblock komplett
Erst in der zweiten Halbzeit war der Gästeblock komplett

Vereinzelt wurden männliche und weibliche Borussen nach Betreten des Stadions herausgepickt, in abgetrennte Räume geführt und vor die Wahl gestellt: Ausziehen oder nach Hause fahren, eindrucksvoll untermauert mit dem Verweis auf die Hausordnung. Die Intensität des Entkleidens reichte dabei vom Lüften der Jacke bis hin zum (annähernden) Ganzkörperstrip, inklusive ordentlichen Befummelns sämtlicher Geschlechtsteile. Wer dieser getrennten Kontrolle entgangen war, durfte sich zum Teil am Blockeingang ordentlich betatschen lassen. Die Nummern verantwortlicher Ordner sind notiert worden, auf Nachfrage entschuldigten sich deren Kollegen mitunter für das unwürdige Verhalten. Aus unserer Sicht kann und darf diese Angelegenheit nicht mit dem Schlusspfiff erledigt sein, weshalb wir alle Betroffenen bzw. Zeugen bitten möchten, sich mit ihren Berichten an unsere Redaktion zu wenden.

Gerade in Anbetracht dieser vollkommen inakzeptablen Methoden muss jedoch auch die Frage gestellt werden, warum sich gewisse Fans aus unseren Reihen abermals nicht entblöden konnten, direkt zu Spielbeginn Kanonenschläge auf die Tartanbahn zu werfen. Wie man so dumm sein kein, derart unverhältnismäßigen Kontrollen mit eigenem Fehlverhalten das Wort zu reden und im weiteren Verlauf des Spiels auch noch eigene Fans mit herausgerissenen Sitzschalen zu verletzen, ist wohl eines der größten Rätsel dieser Woche: Wie stellen sich gewisse Leute einen Pyrotechnik-Kompromiss mit DFB und DFL vor, wenn sie von Anfang an zu erkennen geben, keinen Respekt vor der Gesundheit anderer Fans zu haben und sich an keine Regelung halten zu wollen?

UF'97 mit Spruchband gegen Wendt
UF'97 mit Spruchband gegen Wendt

Borussia begann das Spiel einmal öfter mit dem großen Luxus, mit Ausnahme Sebastian Kehls und Patrick Owomoyelas aus dem Vollen schöpfen zu können. Kevin Großkreutz rotierte nach seiner wohlverdienten Ruhepause wieder in die Startelf, für ihn auf die Bank wechseln musste unser polnischer Flügelflitzer Kuba. Frankfurt wollte die Dortmunder Rekordjagd mit einer sehr defensivstarken Formation beenden und agierte im eben selben 4-2-3-1-Muster.

Die erste halbe Stunde passierte auf dem Rasen nicht besonders viel. Frankfurt ließ den BVB erst einmal kommen, setzte auf die Konterstärke im eigenen Stadion. Die Gäste nahmen die hessische Zurückhaltung dankbar an und nutzten diese, um sich die Müdigkeit aus den Beinen zu laufen. Mit einer deutlichen optischen Überlegenheit ging es immer wieder über Mario Götze und Nuri Sahin auf den Weg nach vorne, ohne jedoch den Ball in Strafraumnähe befördern zu können. Gefährlich wurde es eigentlich nur bei den versuchten Steilpässen, die allerdings an Lucas Barrios wiederholter Abseitsstellung scheiterten.

In dieser Zeit bot sich ausreichend Gelegenheit, die Blicke durch das Stadionrund schweifen zu lassen und sich mit den Tribünen zu beschäftigen. Auf Dortmunder Seite war dabei nicht besonders viel zu sehen – ein farb-, regungs- und trostloser Mob, bis auf kurze Phasen beängstigend still und in seiner Existenz kaum wahrzunehmen. Die Heimkurve mit einer für Frankfurter Verhältnisse eher unterdurchschnittlichen Leistung, die nur dann zu kleinen Höhepunkten fand, wenn es um Beleidigungen und Gepöbel ging. Eine schriftliche Grußbotschaft an die Polizei („Wendt man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten“) und semi-originelle Gesänge in Richtung des Gästeanhangs („In Europa kennt euch keine Sau“, „Eure Eltern gehen zum S04“, „Dortmundschweine“, „BVB Hurensöhne“) waren noch das Überzeugendste, was die selbsterklärte Macht aus dem Nordwesten von sich zu geben hatte.

Kevin durfte wieder von Anfang an ran
Kevin durfte wieder von Anfang an ran

Nach 26 Spielminuten, man gab sich bereits mit Details zufrieden, scheiterte Halil Altintop beim ersten relevanten Angriff der Hausherren mit einem Mädchenschuss aus rund 20 Metern an Roman Weidenfeller. Fünf Minuten später kam es dann zur ersten richtig brenzligen Situation des Spiels: Gekas hatte die Lücke auf rechts gut gesehen, war an der gesamten Dortmunder Defensive vorbeimarschiert und hatte nur noch Weidenfeller vor der Brust – der war allerdings schön aus dem Tor herausgekommen und warf sich beherzt in den Ball, der anschließend ins Toraus kullerte. Die Ecke führte abermals zu großer Gefahr, als Ricardo Clark alleinstehend den Ball auf die Rübe bekam und den wohl kaum zu haltenden Kopfstoß links am Kasten vorbeisetzte.

Auf den anderen Plätzen schien nun ordentlich etwas geboten worden zu sein, denn Tor um Tor aus der Ferne wurde auf dem Videowürfel angezeigt – auch in Frankfurt tauten die Mannschaften etwas auf, zum Beispiel in der 32. Minute, als nach einem schönen Dortmunder Angriff der Ball an den Pfosten und von dort an der Torlinie entlang aus dem Tor prallte. Der Abseitspfiff versagte Barrios die Gelegenheit zum glücklichen Führungstreffer per Nachschuss.

Langsam aber sicher gewonnen die Rot-Schwarzen die Überhand, wirkten spritziger und aggressiver. Mit 60 Prozent Ballbesitz und gewonnenen Zweikämpfen schnürten sie Borussia zunehmend in der eigenen Hälfte ein, anfängliche Unsicherheiten in der eigenen Defensive hatten sie zu diesem Zeitpunkt ebenfalls gut in den Griff bekommen. In der 36. Spielminute kam es dabei nochmals zu einem guten Angriff, bei dem Clark einen satten Fernschuss am Tor vorbei jagte.

Sahin blieb blass
Sahin blieb blass

Erst kurz vor der Pause meldete sich Borussia im Spiel zurück und bemühte sich, mit einem Erfolgserlebnis in die Kabine zu gehen. Ein mustergültiger Angriff hätte in der 40. Minute auch das Tor verdient gehabt: Götze hatte den Ball auf Sahin gespielt, der den freien Marcel Schmelzer auf der rechten Außenbahn sah. Schmelzers Flanke kam (wie so oft an diesem Tag) aber zu ungenau in die Mitte und landete im Rücken der Mitspieler, so dass nur Gestocher helfen konnte: Barrios und Götze bemühten sich um das Leder, konnten sich aber nicht mehr zwingend genug für einen Torschuss in Szene setzen.

Zwei Minuten später die nächste Dortmunder Großchance: Ein Foul kurz vor der Strafraumlinie bot unserem Standardgenie Sahin eine dankbare Gelegenheit zum Einschuss – leider stricht der Ball knapp über das Tor. Die letzte Chance der ersten Halbzeit vergab dann wieder Kollege Barrios, der alleine durchgebrochen war und den mustergültig gespielten Ball nur noch ins Tor hätte schießen müssen – stattdessen verzog er überhastet und setzte seinen Volleyschuss ins dritte Stockwerk der Frankfurter Heimkurve.

Die zweite Halbzeit begann, wie die erste endete: Mit einem Distanzschuss vorbei am Tor, diesmal von Benjamin Köhler. In der 50. Spielminute durfte auch da Silva sein Glück aus der Entfernung probieren. Im direkten Gegenzug marschierte Frankfurt durch die schwatzgelbe Defensive und deutete an, nicht weiter Versteckspielen oder sich auf ein Unentschieden verlassen zu wollen: statt einfach draufzuhalten, wurde eine scharfe Hereingabe von zwei frei stehenden Hessen direkt vor Weidenfeller auf den jeweils dahinter wartenden Mitspieler durchgelassen – ein Borusse konnte gerade noch so den Ball wegspitzeln, ein direkter Torschuss wäre wohl nicht zu halten gewesen. Das Borussenglück schien zu diesem Zeitpunkt langsam am Ende angekommen zu sein.

Götze im Dreikampf
Götze im Dreikampf

Gute zehn Minuten Taktikgeplänkel später zeigte sich Kagawa Shinji erstmals richtig im Spiel. Von der rechten Strafraumkante versuchte er sich an einem wuchtigen Torschuss, der von einem Frankfurter gerade noch so abgewehrt werden konnte. Die schöne Ecke konnte diesmal nicht per Kopf verwertet werden, sondern landete als Abpraller wieder bei Sahin, der es nun mit einer Flanke probierte – Ralf Fährmann verschätzte sich und unterflog den immer länger werdenden Ball, als dieser an die Unterlatte krachte und den einschussbereiten Mats Hummels auf dem falschen Bein erwischte.

Ein großer Teil der Ultraszene hatte nun das Stadion betreten, wurde mit „Hurra, die Dortmunder sind da“ begrüßt und fand sogleich seine Rolle im Gästeblock. Innerhalb weniger Augenblicke wurde es mehrfach ziemlich laut, optisch war ebenfalls Leben in der Bude – allerdings verlief das Aufbäumen des Gästeblocks fast genauso schnell wieder im Sand, wie es begonnen hatte. Die Heimkurve hatte ihre Lautstärke gegenüber der ersten Halbzeit hingegen gesteigert und ließ zwischenzeitlich erkennen, wie gigantisch laut sie ihre Mannschaft anfeuern könnte, wenn sie nur wollte.

Die Eintracht stand über weite Strecken der zweiten Halbzeit bärenstark in der Defensive und ließ ihrem Gegner kaum eine Lücke. Wann immer Borussia diese jedoch witterte, fehlte es dem letzten Pass an Genauigkeit. Erst in der 86. Minute kam es zum großen Showdown: Ein Riesenangriff über den kurz zuvor für Shinji eingewechselten Kuba setzte den in der Strafraummitte frei stehenden Barrios in Szene – statt den Ball im Tor unterzubringen, geriet Barrios in leichte Rücklage und semmelte den Ball zum sechsten Mal in dieser Bundesligasaison an die Latte. Ein Fehler, dessen Bestrafung auf dem Fuße folgte: Frankfurt setzte in Person Theofanis Gekas zum Konter an, über Patrick Ochs landete der Ball per Hacke wieder bei Gekas – abgewichst bis dort hinaus nimmt er den Ball aus dem Lauf mit seinem schwächeren linken Fuß, lässt Weidenfeller keine Chance und hämmert den Ball rechts oben in den Winkel.

Jubel in rotschwarz
Jubel in rotschwarz

Das Spiel war nun entschieden, die etwas frischere Mannschaft hatte ihre etwas besseren Gelegenheiten etwas besser genutzt. Borussia hatte einfach keinen guten Tag erwischt und erlebte in der letzten Spielminute eine sinnbildliche Szene: Sahin wollte die Ecke von links mit hohem Bogen in den Strafraum schießen, drosch sie aber direkt ins Toraus.

Es hatte nicht klappen wollen an diesem Tag und die Enttäuschung ob der eigenen Leistung hatte den jungen Borussen die Sprache verschlagen. Kaum einer wollte sich nach Spielende äußern, selbst Trainer Jürgen Klopp gab unmissverständlich zu verstehen, kein größeres Problem mit ausbleibenden Fragen zu haben. Nach dieser grandiosen Hinrunde (Klopp: „Wir waren wohl tatsächlich die einzigen, die noch wussten, dass auch wir einmal verlieren können.“) nicht selbstgefällig zurückzublicken und sich über einen in letzter Minute verlorenen Punkt zu ärgern, spricht für den Charakter der Mannschaft.

Wir möchten die Gelegenheit nutzen, uns bei den Spielern und sämtlichen Mannschaftsbetreuern für die wohl schönste Hinrunde unseres Lebens zu bedanken. Es hat Spaß gemacht und jedem viel Freude bereitet, diese Mannschaft auflaufen zu sehen. Sie hat Borussia Dortmund im Jubiläumsjahr alle Ehre gemacht und mit 43 Punkten das wohl schönste Geschenk bereitet, das man sich zu Weihnachten und dem 101. Geburtstag hätte wünschen können. Frohes Fest und guten Rutsch allen Borussen!

Statistik

Sahin und Hummels nach Abpfiff
Sahin und Hummels nach Abpfiff

Eintracht: Fährmann – Jung, Vasoski, Schwegler, Tzavellas – Clark, Köhler – Ochs, Meier, Altintop – Gekas

Wechsel: Fenin für Tzavellas (77.), Amanatidis für Gekas (90.), Caio für Altintop (93.)

Herbstmeister: Weidenfeller – Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer – Bender, Sahin – Götze, Shinji, Großkreutz – Barrios

Wechsel: da Silve für Bender (46.), Kuba für Kagawa (64.), Lewandowski für Großkreutz (73.)

Tor: 1:0 Gekas (87.)

Gelbe Karten: Schwegler, Meier – Schmelzer (2.), Weidenfeller (4.)

Noten

Weidenfeller: Stand sicher, reagierte gut gegen Gekas und war beim Gegentor machtlos. Note 2,5.
Weidenfeller: Stand sicher, reagierte gut gegen Gekas und war beim Gegentor machtlos. Note 2,5.

Weidenfeller: Stand sicher, reagierte gut gegen Gekas und war beim Gegentor machtlos. Note 2,5.

Piszczek: Gute Angriffsbemühungen, rieb sich auf seiner Seite jedoch auf – Note 3.

Subotic: Wirkte bisweilen etwas fahrig, insgesamt mit einer durchwachsenen Leistung und miesen Zweikampfwerten. Note 4.

Hummels: Hatte seine Probleme mit den Gegenspielern, brachte Weidenfeller mit einer missglückten Kopfballabwehr in der 73. Minute in Bedrängnis. Note 4.

Schmelzer: Weit entfernt von seinen Glanztaten dieser Saison, insbesondere der letzte Pass kam oft zu schlampig in den Rücken der Mitspieler. Note 4.

Bender: Eine ordentliche erste Halbzeit, aber auch nicht mehr. Note 3.

Sahin: Bemühte sich sichtlich, hatte es in einer massierten Frankfurter Defensive aber alles andere als leicht. Wie immer gute Standards (abgesehen von der 91. Minute), einmal an die Latte und einmal knapp darüber. Note 3.

Barrios: Einmal überhastet abgeschlossen, ziemlich oft im Abseits stehend und am Schluss den sicheren Siegtreffer verpasst – Note 4,5.
Barrios: Einmal überhastet abgeschlossen, ziemlich oft im Abseits stehend und am Schluss den sicheren Siegtreffer verpasst – Note 4,5.
Götze: Ebenfalls nicht sein Tag. Gute Pässe erreichten seine Mitspieler meist in Abseitsposition, anderen fehlte die Genauigkeit und beim Torschuss ohne Glück. Note 3.


Shinji: Mit 50 Prozent der zweikampfstärkste Borusse (!), bis auf einen Torschuss ansonsten aber ohne zündende Ideen. Note 3.

Großkreutz: Die Erholungspause in Sevilla tat ihm gut, die Winterpause wird ihm noch besser tun. Note 3.

Barrios: Einmal überhastet abgeschlossen, ziemlich oft im Abseits stehend und am Schluss den sicheren Siegtreffer verpasst – Note 4,5.

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